Schattenspur
den Südstaaten erst Mitte der 1960er Jahre aufgehoben worden war, sondern in der die schwarze Bevölkerung von der weißen Polizei teilweise brutal unte r drückt worden war. Er konnte ihr nicht verdenken, wenn sie ihm nicht traute.
„Und wenn ich Nein sage, schleifst du mich dann in den Bau und sperrst mich ein, bis ich rede, Jungchen?“
Wayne schüttelte den Kopf. „Keineswegs, Mrs. Haskell. Ich würde Ihre Ablehnung respektieren, aber an Ihre Vernunft appellieren und hoffen, dass Sie Mitgefühl mit einem armen geplagten Agent haben, dem seine Chefin das Fell über die Ohren zieht, wenn er diesen Fall nicht löst.“ Deshalb würde er notgedrungen ihre Gedanken lesen, falls sie ihm nicht antworten wollte. „Es geht um Joy Renard, Ma’am. Wir versuchen, sie zu finden. Sie befindet sich möglicherweise in großer Gefahr. Und wir wissen, dass sie Ihren Wagen b e nutzt.“
„Hab ich ihr geliehen.“ Lavender Haskell blickte ihn unverwandt misstra u isch an.
„Wissen Sie vielleicht, wo sich Joy aufhalten könnte?“
Sie antwortete nicht. Stattdessen stand sie auf. „Ich hole Tassen für den Kaffee. Und“, sie zwinkerte Samuels zu, „ich habe frischen Aprikosenkuchen. Aber den müsst ihr euch erst verdienen. Ich brauche Feuerholz für meinen Kamin. Der Hackklotz ist hinterm Haus.“
Sie wartete eine Antwort nicht ab, sondern ging ins Haus. Samuels seufz t e und machte Anstalten, hinters Haus zu gehen. Wayne hielt ihn zurück.
„Ich mach das.“
Samuels sah ihn erstaunt an und warf einen ebenso erstaunten Blick auf Waynes makellosen Anzug und das blütenweiße Hemd. Er protestierte aber nicht gegen sein Angebot. Wayne ging hinter das Haus. Unter einem übe r dachten Teil der rückwärtigen Hauswand waren dicke Holzklötze gestapelt, die darauf warteten, dass jemand sie in handliches Feuerholz zerhackte. D a rüber hing eine Axt an der Wand. Ein Hackklotz stand davor im Freien, der bereits tiefe Kerben auswies und nicht nur deshalb recht alt aussah.
Wayne hängte sein Jackett über einen Pfosten, legte die Krawatte und das Hemd darüber und zog auch sein T-Shirt aus. Es war heiß, und er würde es, wenn er es anbehielt, völlig durchschwitzen. Ein durchgeschwitztes T-Shirt klebte nicht nur unangenehm auf der Haut, der Schweiß würde sich auch auf das Hemd übertragen, wenn er es später darüber zog. Und er hatte keine Ahnung, wann er die Kleidung würde wechseln können.
Die Sonne fühlte sich angenehm auf seiner Haut an. Er nahm den er s ten Klotz, die Axt, und machte sich daran, einen ordentlichen Vorrat zu h a cken. Er hatte sich nicht nur für diesen Dienst gemeldet, weil die körperliche Täti g keit ihm half, sich abzureagieren und seine Sorge um Kia vorübergehend etwas zu dämpfen. Auch ohne dass er ihre Gedanken gelesen hatte, hatte er gespürt, dass Lavender Haskell ihn testete. Ihre Vorstellung von Weißen im Allgemeinen und Polizisten im Besonderen war immer noch die, dass sie grundsätzlich Schwarze für sich arbeiten ließen, sich aber niemals die Hände für eine alte schwarze Frau schmutzig machen würden. Indem Wayne ihr das Gegenteil bewies, gewann er hoffentlich genug Respekt von ihr, dass sie nachher bereit war, ihm zu helfen; sofern sie das konnte.
Während er geübt das Holz zerkleinerte – er hatte das für Nona Sunraven oft genug getan – und einen lange vorhaltenden Vorrat anlegte, fühlte er des Öfteren, dass Lavender Haskell ihn von einem Fenster aus beobachtete; wahrscheinlich jedes Mal, wenn sie an dem Fenster vorbeikam. Er gab vor, es nicht zu bemerken. Stattdessen konzentrierte er sich während der Arbeit auf seine Verbindung zu Kia und hieb noch kräftiger auf die Holzklö t ze ein, als es ihm wieder nicht gelang, zu ihr durchzudringen oder sie zu lok a lisieren. Nun gut, dafür musste er sich in Trance begeben und sich äußerlich von nichts ablenken lassen; erst recht nicht durch körperliche Arbeit.
Als er nach knapp einer Stunde aufhörte, hatte er nicht nur ein paar, so n dern alle Holzklötze zu Kleinholz verarbeitet und sauber in einem dafür ang e legten Drahtbehälter an der Hauswand aufgeschichtet. Er füllte einen Drah t korb randvoll mit Scheiten, trug ihn ins Haus und stellte ihn neben dem K a min ab. Lavender Haskell nickte ihm wohlwollend zu und zeigte ihm das Badezimmer.
„Kannst die Dusche benutzen, Jungchen. Wenn du fertig bist, gibt es fr i schen Kaffee.“
„Danke, Ma’am.“
Die Dusche tat ihm gut und lockerte seine Muskeln. Da er wie
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