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Schattenstürmer

Schattenstürmer

Titel: Schattenstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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nicht abgeschlossen. Die Tür war zu, aber nicht abgeschlossen! Ich stieß sie auf und erwartete, Sagoth weiß was vorzufinden, womöglich gar Balistan Pargaide mit aufgeschlitzter Kehle. (Natürlich fiel mir prompt der Sendbote ein, der den Cousin des Königs, Kronherzog Pathy, ins Dunkel geschickt hatte.)
    Aber nein, der Raum war vollkommen leer. An der Wand stand ein riesiges Bett, das einen Großteil des Raums einnahm. Vor dem Fenster brannte auf einem kleinen Tisch eine Kerze, neben ihr lag eine massive Schatulle, ein Stück der Oger, wie sie der Graf so liebte. Sie war aus dem gleichen dunklen Metall gefertigt wie der Armreif, den ich Balistan Pargaide geschenkt hatte. Halb abgegriffene Runen und Darstellungen irgendwelcher wilder Kreaturen, Tiere vielleicht oder etwas Schlimmeres, zierten sie. Doch auf die Schatulle kam es mir gar nicht an, sondern auf das, was sie enthielt. Der Schlüssel rief. Wie hypnotisiert machte ich einen Schritt in seine Richtung.
    Ich bin hier! Schneller! Nimm mich! Die Bande rufen dich! Gehen wir fort von hier!
    Da rissen mich Schritte im Gang aus meiner Versunkenheit. Jemand steuerte auf dieses Zimmer zu. Und ich hatte noch nicht einmal die Tür hinter mir geschlossen!
    Im Zimmer konnte ich mich nirgendwo verstecken, vor den Fenstern waren Gitter … Das Bett! Ich nahm die Armbrust vom Rücken und kroch unters Bett, in der Hoffnung, derjenige im Gang möge vorbeigehen und nicht auf die offene Tür achten. Unterm Bett war es eng, immerhin hatte ich aber den ganzen Raum im Blick. Da es auf dem Boden keinen Staub gab, bestand keine Gefahr, im unpassendsten Augenblick zu niesen.
    Jemand betrat das Zimmer. Eine Frau. Ihre Füße steckten in roten Stiefeletten. Sie durchquerte das Zimmer und blieb vor dem Tisch mit der Schatulle stehen. Ein Geruch von Erdbeeren stieg mir in die Nase. Lathressa.
    Aus dem Gang waren abermals Schritte zu hören, kurz sah ich kniehohe Stiefel. Rote Stiefeletten und weiche Stiefel, so stellte sich mir das Geschehen dar.
    »Ist es so weit?«
    Die Stimme des Grafen.
    »Ja, die Sterne sind uns gewogen. Wie öffnet man diese Schatulle?«
    Der Graf stellte sich neben Lathressa, ein melodischer Ton erklang, dann klackte es ein paarmal rasch hintereinander.
    »Bitte sehr, Lady Jena.«
    »Nennt mich nicht Lady, Graf!«
    »Wie Ihr wollt, Lad…«
    »Nennt mich Lathressa. Wie der Herr.«
    »Gut«, sagte der Graf.
    Rette mich! Schnell! Sie wollen mich nehmen! Rette mich! Die Schreie des Schlüssels hallten in meinem Kopf wider, für den Bruchteil einer Sekunde wurde mir schwarz vor Augen.
    Ich konnte nichts tun, selbst wenn ich hundert Armbrüste gehabt hätte! Ein gewöhnlicher Bolzen dürfte Lathressa nicht den geringsten Schaden zufügen. Mir blieb nichts, als abzuwarten und zu den Göttern zu beten.
    »Tretet zur Seite, Graf, ich muss mich konzentrieren.«
    Lathressa stimmte ein Lied in einer mir unbekannten Sprache an. Abermals dröhnten mir die Schreie des Schlüssels in den Ohren. Die Füße in den roten Stiefeletten schlugen einen seltsamen, beschwörenden Takt, der mit dem leisen Gesang Lathressas verschmolz und sich quecksilbrig in dem Zimmer ausbreitete, das in Erwartung erstarrt war.
    Rette mich! Ich will nicht! Unsere Bande sind stark!
    Der Schmerz in meinen Ohren war unerträglich, ich presste mir die Hände gegen die Schläfen, aber das half kaum.
    Das Lied Lathressas schwoll immer stärker an, die gesungenen Worte donnerten über meinen Kopf hinweg. Ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, wie es an den Banden zwischen mir und dem Schlüssel zerrte. Meine Finger schienen unter die Schläge eines Hammers zu geraten.
    Unsere Bande sind stark!
    »Unsere Bande sind stark!«, flüsterte ich benommen.
    Stark . Ich vernahm einen erleichterten Seufzer.
    Der Schmerz wich etwas von mir. Sobald Lathressa jedoch die Stimme erhob, schien mir erneut jemand flüssiges Blei in die Ohren zu gießen. Meine Finger litten Qualen.
    »Unsere Bande sind stark«, flüsterte ich abermals.
    »Graf! Ich schaffe es nicht!«, schrie Lathressa.
    Glühendes Feuer ergoss sich über meine Finger, doch inzwischen wusste ich bereits, was ich tun musste. Sie konnten die Bande nicht zerreißen, während ich in der Nähe war. Der Schlüssel war stumm und leblos, aber eben auch ein Wesen mit Vernunft. Und er war auf meiner Seite.
     
    Des Nachts er auf die rote Beere trifft,
    Und der Schlüssel entscheidet, wem er hilft.
     
    Lautete so nicht die Prophezeiung meines guten, alten Freundes

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