Schattenstürmer
passierten wir ohne Schwierigkeiten. Die verschlafenen Wachtposten fragten nicht, warum wir derart früh aufbrachen, und zeigten sich höchst beflissen. Sie öffneten uns das Tor und ließen uns aus der Stadt reiten. Eine Goldmünze, die dem Korporal gegeben worden war, wirkte besser als jedes Sendschreiben mit dem Siegel des Stadtrats.
In den nächsten beiden Tagen wollten wir die Strecke zwischen Ranneng und der Isselina zurücklegen. Wir trieben die Pferde wie wahnsinnig an, um einen sicheren Abstand zwischen uns und mögliche Verfolger zu bringen, die uns Balistan Pargaide auf den Hals gehetzt haben könnte.
Bass war finster und mürrisch. Ell und Ohm wichen ihm nicht von der Seite. Zum Glück wagte mein Freund keinen Fluchtversuch. Auf meine Frage, ob Bass etwa mit uns nach Hrad Spine kommen sollte, antwortete Miralissa: »An der Grenze gibt es Festungen. Da soll er unsere Rückkehr abwarten, danach ist er ein freier Mann und kann ziehen, wohin er will.
Ich sagte Bass kein Wort von dieser Absicht der Elfin. Vermutlich hätte er sich ohnehin nicht über diese Neuigkeiten gefreut. Am zweiten Tag befreundete sich Bass mit Lämpler und stimmte zu dessen Gedudel auf der Flöte ein Liedchen an. Wenn wir rasteten, spielte er mit jemandem Würfel oder Karten. Meist gewann er. Nur der gewitzte Kli-Kli vermochte den einstigen Schüler Fors zu bezwingen. Beide tricksten und schummelten, aber Kli-Kli war sogar noch geschickter als Bass.
Am zweiten Tag erreichten wir um fünf Uhr nachmittags die Isselina.
Ich sah das funkelnde Band des Flusses bereits, als wir noch durch den Wald ritten. Die Sonne spiegelte sich im Wasser, die Lichtreflexe blendeten uns durch die Bäume hindurch. Als wir aus dem Wald herauskamen, stockte mir der Atem.
Während unserer Exkursion hatte ich bereits etliche Bäche und Flüsse gesehen. Keiner von ihnen hielt jedoch dem Vergleich mit der Isselina stand. Vor mir lag die Mutter aller nördlichen Flüsse. Ein riesiger, breiter und wasserreicher Fluss, der im Zwergengebirge entsprang, durch die Wälder Sagrabas floss und weit im Nordosten ins Meer der Stürme mündete.
Zwischen dem Wald und dem Fluss gab es noch eine kleinere Stadt. Da ich weder Mauern noch Wachtürme ausmachte, musste man im Grunde von einem großen Dorf sprechen, auch wenn die meisten Häuser dort einstöckig waren. Unweit davon erhoben sich die mächtigen Festungstürme eines Schlosses.
»Marmotte«, wandte ich mich an das Wilde Herz, »was ist das für eine Stadt?«
Der Krieger sah mich recht merkwürdig an. »Boltnik.«
» Das Boltnik?«
»Eben das, ja.«
Alle kannten die Geschichte vom Kessel von Boltnik, in dem ein Viertel unserer Armee im Krieg des Frühlings umgekommen war. Die Menschen wollten die Orks am Ufer der Isselina empfangen. Was allerdings niemand wusste: Die Ersten hatten fünfzig League stromaufwärts die Verteidigung der Menschen durchbrochen und diese nach Ranneng zurückgetrieben. Anschließend griffen die Orks alle, die bei Boltnik auf sie warteten, hinterrücks an. Sie drängten die Menschen zum Fluss, an dessen anderem Ufer alles schwarz war: von den Bogenschützen der Orks. So nahmen sie unsere Armee in die Zange. Kaum einer vermochte sich aus dieser Umklammerung zu befreien, nur wenigen Glücklichen gelang es, sich in den Fluss zu retten oder durch den Ring zu schlüpfen. An jenem Tag verstanden die Menschen, dass die Elfen diesen Fluss mit gutem Grund Isselina nannten, den Schwarzen Fluss. Es war ein Schwarzer Fluss, es waren schwarze Tage – auch wenn der Fluss nicht schwarz, sondern rot war, rot vom Blut der Menschen und der Orks.
Alistan führte uns nicht in die Stadt, sondern so an ihr vorbei, dass wir die weißen Häuser mit den roten Ziegeldächern rechter Hand liegen ließen. Jeder von uns wusste, dass es besser war, nicht in den Ort hineinzureiten, denn dort konnten allerlei Unannehmlichkeiten lauern. Die bittere Erfahrung aus Ranneng war Alistan Markhouse eine Lehre gewesen. Nur Aal und Arnch wurden nach Boltnik entsandt, um in Erfahrung zu bringen, wo wir übersetzen konnten. Wir Übrigen warteten in einem kleinen Hain unmittelbar am Ufer auf sie.
Am Fluss roch es frisch und nach feuchtem Gras. Am Ufer wuchs Schilf, die Weiden neigten ihre Zweige mit den silbrig-grünen Blättern zum Wasser hinunter. Die Pferde wurden sofort von Bremsen belagert, auf die Kli-Kli selbstverständlich Jagd machte.
Das gegenüberliegende Ufer schien sehr fern. Ich hätte nicht darauf gewettet,
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