Schattenstürmer
hingetragen. Das war ja mal wieder typisch. Sobald es in einer Stadt zu einer Auseinandersetzung kommt, sind sämtliche Wachleute wie vom Erdboden verschluckt. Sobald die See wieder ruhig liegt, kriechen sie natürlich aus ihren Löchern, hauen sich selbst auf die Brust und versichern, einzig unaufschiebbare Angelegenheiten hätten sie aufgehalten, sonst würden sie natürlich alle Schurken geschnappt haben!
Ich wurde auf etwas Hartes geschmissen. Jemand fluchte, und eine Tür schlug zu. Dann setzte sich etwas in Bewegung. Offenbar lag ich in einer Kutsche. Aber warum hatte man mich da so unfeierlich reingeschmissen? Sie hätten mich doch auch zu einer kleinen Spazierfahrt einladen können. Oder dachten sie vielleicht, ich hätte abgelehnt?
H’san’kor! Was dachte ich jetzt schon wieder für einen Unsinn zusammen!
Jemand stöhnte leise. Aal?
Ich öffnete die Augen, um meine Neugier zu stillen. Wie sich erwies, lag ich auf dem Boden einer Kutsche, neben dem bewusstlosen Aal. Außer uns beiden waren noch die Armbrustschützen anwesend, die vor fünf Minuten versucht hatten, einen gewissen Garrett und seine Freunde zu erschießen.
Wie heißt es bei den Orks so treffend? Neugier bringt den Kobold noch ins Labyrinth. Einer dieser hässlichen Menschen hatte bemerkt, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte. »He, der hier ist zu sich gekommen!«, sagte er.
Ich wollte schon erwidern, dass ich gar nicht weg gewesen und auch nicht der wäre, sondern einen Namen hätte. Aber meine Zunge verweigerte mir den Dienst.
»Dann schalte ihn wieder aus!«, riet ein anderer.
Das Letzte, was ich sah, bevor ich in ein dunkles Nichts fiel, war eine Keule, die wie ein Stein auf mich niederknallte.
Kapitel 6
Gespräche im Dunkeln
Ich ging einen dunklen Gang hinunter, dessen Wände aus groben Steinen bestanden. Sie waren mit einer Art Moos oder Flechte bewachsen. Licht gab es praktisch keines, sodass ich mich vorwärtstasten musste. Vor allem kam es mir darauf an, keine Abzweigung zu verpassen.
Die Decke wölbte sich wie ein verrückter Regenwurm. Dreimal stieß ich mit dem Kopf dagegen, doch ich brauchte nur ein paar Schritt zu machen – und schon konnte ich die Hand noch so ausstrecken, dann reichte ich einfach nicht an sie heran, dann griffen meine Finger ins Leere, ins Dunkel und in einen leichten Luftzug hinein.
Tausende von Fragen schwirrten mir im Kopf herum. Wie war ich hierhergekommen? Wohin ging ich? Und wozu? Was suchte ich im Dunkel dieses Kellers? Und war das überhaupt ein Keller?
Wohl kaum, schon gar nicht angesichts der Türen, auf die meine Hand alle zwanzig Schritt stieß. Metalltüren, jede mit einem kleinen vergitterten Fenster. Zwanzig Schritt weit gab es nur rohen Stein und Moos, danach spürten meine Finger das kalte, von unterirdischer Feuchtigkeit beschlagene Metall. Darauf folgte wieder zwanzig Schritt lang Stein.
Ich hatte den Eindruck, mich im untersten Stockwerk eines riesigen Gefängnisses zu befinden.
Der Gang schien endlos. Zuweilen vernahm ich hinter einer der Türen ein Stöhnen oder Murmeln, aber meist hauste hinter ihnen nur eine alles betäubende Stille. Wer wurde hier unten festgehalten? Gefangene, Wahnsinnige oder die Seelen derjenigen, für die der Weg ins Licht oder ins Dunkel auf ewig versperrt war? Eine Antwort auf diese Fragen hatte ich nicht – genauso wenig wie den Wunsch herauszufinden, wer tatsächlich in den Zellen saß.
Als ich an der nächsten Tür vorbeikam, hörte ich ein wahnsinniges Lachen. Erschrocken sprang ich zur gegenüberliegenden Wand und beschleunigte meinen Schritt, um diesem Irren möglichst schnell zu entkommen. Aber das Lachen hallte noch lange als Echo von den Wänden und der Decke wider und schlug mir in den Rücken, trieb mich vorwärts.
Drei Ewigkeiten später, als ich meine Schritte schon nicht mehr zählte, vermeinte ich den Geruch des Meeres wahrzunehmen.
Genau so roch es im Hafenviertel von Awendum, wenn der Wind vom Kalten Meer kam. Es war der Geruch nach Salz, nach Algen und nach der Gischt, die von den Wellen auf den Piers zurückblieb. Nach den Möwen, die die Fischerboote stets empfingen. Es war der Geruch nach frischer Kälte, nach Fisch, nach Wind und Freiheit.
Als die tintenschwarze Dunkelheit endlich zurückwich, schälten sich aus der Finsternis sehr langsam die Konturen des Ganges heraus. Von oben fiel ein schwacher Strahl Tageslicht herein. Ich blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete das Fleckchen Himmel, das durch
Weitere Kostenlose Bücher