Schattenstürmer
abzutauchen.
Prompt zog der Alte scharf die Luft ein. Mit einem Mal erinnerte er an einen Jagdhund, der gewittert hatte, dass hinter ihm ein Fuchs vorbeikroch.
Ich hatte derweil andere Probleme als das seltsame Gebaren des Alten: Beinahe wäre ich zurück in den Gang gestürzt, denn in der Zelle stank es, als hätte sich eine Armee von Gnomen zehn Jahre lang ununterbrochen in ihr ausgekotzt. Ich bedeckte mein Gesicht mit dem Hemdsärmel und trachtete, durch den Mund zu atmen. Der Gestank war jedoch so scharf, dass mir trotzdem die Augen tränten. Und die ganze Zeit über verharrte der Alte so reglos wie eine Statue vor der Tür. Sollte er doch etwas mitbekommen haben?
Schließlich zog er ein letztes Mal die Luft ein und schüttelte den Kopf, als wollte er eine Vision vertreiben, die ihn heimgesucht hatte. So gesehen hatte der Gestank auch ein Gutes! Der Alte würde mich ganz bestimmt nicht wittern, selbst wenn er die Nase eines Imperiumshundes hätte!
Nun nahm der Wärter den Kampf gegen das Türschloss wieder auf. Unterdessen versuchte ich, die Überreste meines Frühstücks bei mir zu behalten. Wenn ich hier je herauskäme, würde ich meine stinkenden Sachen sofort wegschmeißen und mich selbst einen ganzen Monat lang in einem Kübel heißen Wassers einweichen, um diesen entsetzlichen Geruch loszuwerden, der jede Zelle meines Körpers durchdrungen zu haben schien.
Irgendwann gab das Schloss nach. Der Alte stieß ein triumphierendes Lachen aus. Die verrosteten, ungeölten Angeln quietschten, die Zellentür öffnete sich. Der Alte nahm nun auch die Schüssel auf und betrat die Zelle.
An meine Ohren klang das leise Klirren einer Kette.
»Ausgeschlafen?« Die Stimme des Alten klang herrisch und heiser. »Habt ihr in den drei Tagen Hunger bekommen?«
Dem Wärter antwortete nichts als Stille. Nur die Kette rasselte noch einmal, als bewege sich der Gefangene.
»Wie stolz ihr seid!«, gickelte der Alte. »Eure Sache! Hier ist Wasser! Das Brot habe ich im Wachraum vergessen, das müsst ihr mir nachsehen. Aber keine Sorge, beim nächsten Rundgang bringe ich euch welches. In nur zwei Tagen.«
Den Worten folgte abermals ein zufriedenes Lachen. Ein hässliches, böses Lachen sogar.
Ich spähte aus meinem Versteck hervor, in der Hoffnung, einen Blick in die Zelle gegenüber zu erhaschen, aber ich sah nur das gedämpfte Licht der Laterne und den Rücken des Wärters.
»Also, ich geh jetzt. Alles Gute. Lasst euch das Wasser munden. Ist zwar kein Pfau mit Pilzen oder Erdbeeren mit Sahne, aber auch lecker!«
Der Alte verließ die Zelle wieder, und die Tür schloss sich quietschend.
»Halt!«
Eine Frau!
»Ach was!«, knurrte der Alte. »Ihr könnt ja sogar sprechen! Was willst du?«
»Nimm mir die Kette ab!«
»Sonst hast du keine Wünsche?«
»Tu, was ich dir gesagt habe, und du bekommst tausend Goldmünzen!«
»Erniedrige dich nicht vor ihm, Letha!«, mischte sich eine zweite Frau ein.
»Tausend? Guter Witz!«, krächzte der Alte, und die Tür der Zelle quietschte erneut.
»Fünftausend!« In Lethas Stimme schwang ein Hauch von Verzweiflung mit.
Die Tür schloss sich wieder.
»Zehn! Zehntausend!«
Die Tür fiel polternd ins Schloss. Ich fuhr zusammen. Mit diesem Knall schien der Himmel auf die Erde gestürzt zu sein. Der Schlüsselbund klirrte. Ich zog mich tiefer in die Zelle zurück. Von meinem neuen Platz aus würde ich sogar das Gesicht des Wärters erkennen, das Gesicht jenes Mannes also, der gerade eben zehntausend Goldmünzen abgelehnt hatte!
Der Alte schloss die Tür ab. Als er sich dann umdrehte, sah ich endlich sein Gesicht.
Ich erschrak. Fürchterlich.
Das letzte Mal hatte ich einen derartigen Schrecken in jener Nacht bekommen, als ich ins Geschlossene Gebiet eingedrungen und dort auf die kichernde Quäkerin gestoßen war.
Der Alte hatte eine gelbe, pergamentartige Haut, eine spitze, gerade Nase, blaue, blutleere Lippen, einen dreckigen, zerzausten Bart und Augen …
Diese Augen verursachten mir weiche Knie. Sie waren schwarz. Tiefschwarz.
Es waren kalte, achatene Augen, ohne Pupillen und Iris. Durfte man diese schwarzen und leeren Abgründe wirklich Augen nennen?
Dergleichen konnte es doch einfach nicht geben, dergleichen durfte in unserer Welt nicht existieren. Die schwarzen Augen schienen toter als Stein zu sein, kälter als Eis, unbeteiligter als die Ewigkeit.
Da ich den Blick dieser schrecklichen Augen nicht ertrug, wich ich noch weiter nach hinten zurück.
Nach den universellen
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