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Schattenstürmer

Schattenstürmer

Titel: Schattenstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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darum zu scheren, ob ich gegen etwas stieß oder mir die Beine brach. Zu dem Unbekannten aufzuschließen erwies sich als recht einfach, denn er trottete so gemächlich wie ein Oger, der sich gerade an einem Menschlein vollgefressen hatte.
    Als ich an einer Treppe vorbeirannte, die nach oben führte (über sie war der Unbekannte hergekommen), hatte ich den Mann eingeholt.
    Ein Greis. Gut, sein Gesicht sah ich nicht, doch die gekrümmte Haltung, der schlurfende Gang, die zitternde Hand, die die Öllampe hielt, und auch das graue Haar schlossen jeden Zweifel aus. Er trug einen alten, zerrissenen schmutzig-grauen Fetzen. Ich hätte allerdings meine letzte Goldmünze verwettet, dass dieser Fetzen vor vielen, vielen Jahren einmal ein prachtvolles Wams gewesen war. An einem abgeriebenen Gürtel hing ein gewaltiger Schlüsselbund, der im Takt seiner Schritte widerlich klimperte. In der anderen Hand hielt der Alte eine Schale oder einen Teller. Was sich darin befand, konnte ich nicht erkennen, doch der Mann trug die Schale sehr behutsam, seine Hand zitterte auch nicht, im Unterschied zu der mit der Öllampe. Der Schatten des Greises tanzte in vielfacher Vergrößerung über die Wand.
    Ich blieb zehn Schritt hinter dem Alten und achtete darauf, die Grenze zwischen dem Dunkel und dem Licht der Lampe nicht zu übertreten. Der Greis hustete ab und zu. Sein Husten erinnerte mich aus irgendeinem Grund an den Husten des alten Magisters Arziwus. Ach ja, der Magier mit seinen Blitzen und Feuern käme mir jetzt sehr gelegen. Aber das konnte ich vergessen. Arziwus weilte weit entfernt, in Awendum, wo er den Orden auf die »feierliche« Begegnung mit dem Unaussprechlichen vorbereitete.
    Schlurfend und hustend und fluchend bewegte sich der Greis vorwärts. Ich fürchtete schon, er könnte jählings zusammenbrechen, ohne das Ziel seines Zugs durch diese unterirdische Welt erreicht zu haben. Doch da endete der Gang plötzlich, und der Alte blieb schnaufend vor der letzten Tür stehen. Der Wärter, wie ich den Alten insgeheim getauft hatte, stellte die Schale und die Lampe auf den Fußboden und griff nach dem Schlüsselbund.
    Das Gesicht des Alten vermochte ich immer noch nicht zu erkennen, denn er hatte mir halb den Rücken zugekehrt. Er murmelte etwas, während er eifrig die Schlüssel durchging. Schließlich entschied er sich für einen großen Kupferschlüssel und steckte ihn ins Türschloss. Der Schlüssel passte jedoch nicht, der Wärter verfluchte das Dunkel und denjenigen, der es hervorgebracht hatte, zog den Schlüssel wieder heraus, rasselte mit dem Bund und suchte erneut nach dem richtigen.
    Mir fiel auf, dass ich mitten auf dem Präsentierteller stünde, wenn sich der Alte auf den Rückweg machte. Eigentlich sollte ich also zur Treppe zurücklaufen. Doch mich in dieser tiefen Finsternis lautlos zu bewegen wäre recht schwierig, um nicht zu sagen aussichtslos.
    Verzweifelt sann ich auf einen Ausweg aus der misslichen Lage. Natürlich könnte ich dem Alten einfach eins überziehen – aber würde ich ohne ihn den Weg nach oben finden? Die neue Treppe konnte mich ja durchaus in irgendein Labyrinth bringen, in dem ich bis ans Ende der Zeiten herumirren würde. Diese Variante schied folglich aus.
    Eine Möglichkeit, mit dem Schatten zu verschmelzen, gab es ebenfalls nicht, denn die Lampe leuchtete den Gang über die ganze Breite aus. Selbst wenn ich mich noch so sehr gegen die Wand presste, der Alte würde mich bemerken.
    Gegenüber der Tür, an der sich der Alte zu schaffen machte, befand sich jedoch eine weitere Tür. Genauer gesagt: Sie war da gewesen. Jetzt klaffte an ihrer Stelle nur noch ein kohlschwarzes Loch, das in eine offene und also leere Zelle führte – welcher normale Mensch bliebe schon in einer Zelle sitzen, wenn die Tür fehlt? Die Tür lag samt Angeln, gewaltigen Dellen und einem verbogenen Gitterfenster auf dem Boden. Keine Ahnung, wer in der Zelle festgehalten worden war, aber angesichts dessen, was dieses Wesen mit der Tür angestellt hatte, hätte ich nicht Wärter sein wollen, als diese Kreatur ausgebrochen war. Genau – diese Kreatur! Kein gewöhnlicher Mensch wäre imstande, in einer fünf Zoll starken Metalltür solche Dellen zu hinterlassen (es sei denn, er würde dreihundert Jahre lang den eigenen Schädel gegen sie knallen).
    Endlich fand der Alte den passenden Schlüssel, nahm die Lampe auf und mühte sich mit der Tür ab. Ich nutzte die Gelegenheit, an ihm vorbeizuhuschen und ins Dunkel der Zelle

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