Schattenstürmer
hatte es jemand geschafft, mich zweimal hintereinander in derart kurzer Zeit zu erschrecken!
Der Alte, dieses ausgekochte Monster, lag auf dem Fußboden und spähte in die Zelle. Hätte ich noch an der Stelle gestanden, an der ich mich gerade eben befunden hatte, so hätte ich den verfluchten Alten niemals bemerkt. Und wäre ich womöglich sogar so dumm gewesen und hinausgegangen, dann wäre ich regelrecht über den Alten gestolpert. Sorgfältig musterte der Kerl die Stelle, an der bisher gelauert hatte.
Was für ein durchtriebener Halunke! Was für ein gefährlicher und durchtriebener Mensch! Wohin waren die Langsamkeit und das Schlurfen verschwunden?! Wie geschickt und lautlos er zurückgekehrt war! Das Dunkel soll mein Blut trinken – aber sein Abgang war mit Sicherheit nur gut gespieltes Theater!
Nachdem der Alte gesehen hatte, was er sehen wollte, stand er lautlos auf. Die Hand des Alten verschwand in seinem Ausschnitt. Er zog die beinerne Waffe heraus. Mein Rücken wurde schweißnass.
Mit einer kaum merklichen Bewegung schleuderte er den Knochen dorthin, wo er mich vermutete. Das Oberschenkelbein pfiff durch die Luft, schlug dumpf gegen die gegenüberliegende Wand und fiel zu Boden.
Der Alte schnaubte erstaunt und kratzte sich nachdenklich den Nacken. »Wirklich nur Ratten«, sagte er leicht enttäuscht. »Schade um den Knochen! Aber bei dem Gestank geh ich da nicht rein!«
Fluchend schlurfte der Alte zur Laterne zurück. Kurz verstummte das Geräusch (offenbar nahm er die Laterne vom Boden auf), dann setzte es wieder ein. Je mehr die Schritte verebbten, desto dunkler wurde es im Gang, und schon bald gab es nur noch eine undurchdringliche Finsternis.
Ich versuchte mein rasendes Herz zu beruhigen, das kurz davor war, aus dem Brustkorb zu springen. Glück gehabt! Unverschämtes Glück! Wenn ich nicht die paar Schritte zur Seite gegangen wäre, hätte mich die Waffe des Alten voll erwischt! Der Alte hatte sie derart überraschend geschleudert, da hätte ich mich nie im Leben wegducken können. Ich hatte ja nicht einmal mitbekommen, wie er zum Wurf ansetzte!
Mich hatte mein Glück gerettet, die Hilfe Sagoths und das kapriziöse Schicksal. Ihnen allen also Dank für mein mir neuerlich geschenktes Leben.
Die Schritte des Alten waren bereits vor langer Zeit verhallt. Inzwischen hatten sich meine Augen so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie nicht mehr undurchdringlich für mich war und ich die Umrisse der Tür erkennen konnte. Obwohl es um mich herum sehr, sehr still war, wich meine Angst nicht. Ich fürchtete mich sogar davor, mich zu rühren. Vielleicht hielt ja der durchtriebene Alte noch eine Überraschung bereit? Schließlich hatte ich schon erlebt, wie lautlos er sich zu bewegen vermochte. Was, wenn er nur vorgegeben hatte abzuziehen, die Laterne weggebracht hatte – und jetzt im Dunkel des Ganges auf mich lauerte?
Lauern. Im Dunkel. Des Ganges. Eine Gänsehaut rieselte mir zwischen den Schulterblättern den Rücken hinab. Die Haare sträubten sich. Der verfluchte Alte mit den verfluchten schwarzen Augen war so flink wie zehn Orks und konnte mich durchaus auf meinen letzten Spaziergang ins Licht schicken.
»Halt, Garrett, halt! Hör auf damit, sonst frisst sich dir die Angst bis auf die Knochen durch! Noch ein paar solcher Gedanken, und du fällst in Panik! Du bist ein Dieb, Garrett, ein ruhiger und berechnender Meisterdieb, genannt Garrett der Schatten. Du bist der Schrecken aller reichen Leute und ihrer Truhen. Du bist Garrett, den kleine grüne Kobolde mit sehr spitzer Zunge den Schattentänzer nennen. Du gerätst nie in Panik, wenn du bei der Arbeit bist, also fang jetzt nicht damit an! Ruhig! Ruhig! Atme tief durch, atme durch die Nase! Ja, genau so! Ein! Aus! Braver Junge! Und jetzt sieh zu, dass du hier wegkommst, bevor es noch schlimmer wird!«
Keine Ahnung, ob ich selbst diese Worte flüsterte oder sie jemand anders hauchte, aber die Angst zog sich tatsächlich nach einem letzten Aufbäumen an den Rand meines Bewusstseins zurück.
Da es der blanke Wahnsinn gewesen wäre, ohne Waffe durch das Dunkel zu stolpern, hielt ich den Atem an und ging bis zu der Stelle, wo die Waffe lag, die der Alte nach mir geworfen hatte. Ich musste wie ein Blinder mit den Füßen über den Boden fahren, um den Knochen zu ertasten. Der Gestank trieb mir Tränen in die Augen, als ob mir Garraker Pfeffer in die Nase stieg. Endlich erwischte ich den Knochen, bückte mich und hob die seltsame Waffe auf.
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