Schattenstürmer
trägt dein Bewusstsein in den endlosen Fluss des Vergessens und der Träume davon, in jenen Fluss, der ins Meer des Todes mündet.
Wie kalt es ist! Bei Sagoth! Eine solche Kälte darf es doch gar nicht geben! Wie?! Wie kann der Feuerschnee denn nur solche Kälte bringen?!
Die Schneeflocken hatten sich im Dunkel zu einer gigantischen Feuersäule geformt. Nach allen Gesetzen der Natur müsste doch unerträgliche Hitze von ihr ausgehen! Meine Hände jedoch zitterten, und nur wie durch ein Wunder schaffte ich es, der Säule ein paar Flocken zu entreißen. Die Kälte des Eises, die Kälte des Feuerschnees verbrannte mir die Handteller, die Flocken schmolzen und verwandelten sich in purpurroten Rauch.
Wie hatte ich nur vergessen können, dass hier, im schwarzen Nichts der Magie, in der Welt der Träume und Gespenster der Vergangenheit, gänzlich andere Gesetze herrschten?!
»Sei gegrüßt, Schattentänzer!«
Genau wie beim letzten Mal entging mir jener flüchtige Augenblick, da sie vor mir erschienen. Es bewegten sich einfach lebende Schatten durch die Finsternis auf mich zu. Die Herrinnen und die Gäste des Nichts. Meine alten Freundinnen.
Ich nannte sie die Erste, die Zweite und die Dritte. Drei Schatten, drei Freundinnen, drei Schwestern, drei Geliebte … Sie hatten sich seit unserer letzten Begegnung, seit jenem Tanz, mit dem ich damals dem Nichts entkommen war, überhaupt nicht verändert. Ob sie mir auch diesmal helfen mochten?
»S…seid ge… gegrüßt, Ladys.« Da meine Zähne klapperten, brachte ich die Worte nur mit Mühe heraus.
»Hast du etwa vergessen, dass einige Träume genauso gefährlich sind wie die Wirklichkeit, Tänzer?« Die Stimme der Zweiten klang betrübt.
»Tr… träume sollen gefährlich sein?« Ich erinnerte mich an all die Albträume, die ich im letzten Monat gehabt hatte. »Ja, vielleicht stimmt das …«
»Warum rufst du sie dann herbei, Tänzer? Die Prophezeiung und das Schicksal werden dich nicht immer beschützen!« Wieder richtete die Zweite das Wort an mich. Die Erste und die Dritte standen schweigend neben ihrer Schwester und beobachteten uns.
»Ich ha… hatte nicht die Absicht, in Eure Welt des Traums einzudringen«, rechtfertigte ich mich. »Ich weiß ja nicht einmal, wie ich überhaupt in diesen purpurroten Schnee hineingelange!«
»Du hältst unsere Welt für einen Traum?«, ergriff nun die Erste das Wort. »Da irrst du dich, Tänzer. Unsere Welt ist genauso wirklich wie deine. Wenn nicht sogar wirklicher, denn sie war die erste aller Welten. Die Welt des Chaos, die als Grundlage für tausend andere Welten diente, die entstanden, als solche wie du anfingen, etwas zu erbauen und damit die Schatten zu zerstören. Unsere Welt ist kein Traum. Wir sind kein Traum. Und du bist in diesem Augenblick auch nicht der Teil eines Traums.«
»Und du stirbst, Tänzer!«, schrie die Dritte dazwischen. »Tatsächlich! Denn du wagst dich allzu häufig in Träume vor, die gefährlich sind.«
»Ich weiß überhaupt nicht, was Ihr meint.« Die Kälte schläferte mein Bewusstsein ein.
»Träume können töten«, flüsterte die Erste. »Sobald du glaubst, ein Traum sei kein Traum, sobald du beginnst, in einem Traum zu leben, hört der Traum auf, ein Traum zu sein. Dann wird er für alle, die an ihn glauben, gefährlich! Derjenige, der dir diese Schmerzen zugefügt hat, lebte in deinem Traum …«
»Oder du in seinem …«, unterbrach die Zweite sie.
»Das spielt keine Rolle. Du hast an den Traum geglaubt, und deshalb hast du diese Wunde davongetragen.«
Das Gefängnis des Herrn soll ein Traum gewesen sein?
Die Erinnerung an die Wunde und das offene Mitleid, das in den Stimmen der Schatten lag, zwangen mich, mir meinen Bauch anzusehen. Das hätte ich aber besser nicht tun sollen! Besten Dank, Sendbote! Wie ich diesen Angriff überlebt hatte, war mir ein Rätsel. Solche Wunden befördern einen für gewöhnlich geradewegs ins Licht!
Die Blutegel des Schmerzes setzten mir sogleich mit doppelter Kraft zu. Ein Schrei entrang sich mir.
»Begreifst du nun, wie gefährlich Träume sein können, Tänzer?«
»Wie …? Wie bin ich hierhergekommen?«, hauchte ich.
»Das würden wir gern von dir wissen. Du bist ja aus freien Stücken in unserem Haus erschienen.«
»Nein, ich wollte nicht hierher! Ich wollte nach Hause!«
»Jetzt ist unsere Welt dein Zuhause. Für alle Zeiten. In Siala hättest du längst deinen letzten Atemzug getan. Nur hier überlebst du!«
»Aber ich muss in meine
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