Schattenstürmer
und ausgesprochen böse Augen.
Die Sonne stand schon weit oben am Himmel, und die Strahlen waren wie Lanzen des Lichts, die sich durch das schmale Gitterfenster unter der Decke bohrten. Sie fielen in die Mitte des Zimmers und bildeten einen ebenmäßigen Kreis auf dem Boden. Die Zeit rann uns zwischen den Fingern davon wie Goldstaub, und nichts würde ihren Lauf verlangsamen. Die Zeit arbeitete nicht für uns.
Irgendwann ertönte über meinem Kopf ein Quieken, das ich anfangs gar nicht beachtete. Den Gholen und Aal entging es jedoch nicht. Die Gholen eilten alarmiert ans Gitter, Aal riss die Augen so abrupt auf, als habe er überhaupt nicht geschlafen.
»Gepriesen seien alle Götter!«, seufzte er, und ich sah die Freude, die sich durch die Maske seiner sonstigen Gelassenheit und Unerschütterlichkeit brach.
Ich drehte den Kopf zum Fenster, von dem das feine Quieken kam.
»Der Ling!«, rief ich.
»Genau! Das heißt, die anderen haben uns gefunden!«
»He! Ist da jemand?«, erklang plötzlich Marmottes Stimme am Fenster.
»Wir sind hier! Warum hat das so lange gedauert?«
»Beschwert euch bloß nicht! Ihr hättet auch zehn Leagues weit weg sein können! Dann hätten wir eine ganze Woche gebraucht, um euch zu finden! Seid ihr in Ordnung?«
»Ja!«
»Könnt ihr euch bewegen?«
»Unsere Hände sind gefesselt!«
»Kein Problem, ich lass Triumphator zu euch!«
»Komm zur Tür, Marmotte!«, sagte Aal.
»Wir sind schon auf dem Weg! Aber hier haben sich die Handlanger des Unaussprechlichen zusammengerottet. Und zwar fast aus dem ganzen Königreich! Die anderen schlagen gerade ihre Patrouillen zusammen, ich wollte euch nur Bescheid geben. Achtung!«
In den Sonnenstrahlen funkelte kurz etwas, dann landete ein Stiefelmesser mit der Spitze im Stroh. Knapp hinter mir, ich brauchte mich nur danach auszustrecken.
Mit einem Quieken sprang der Ling dem Messer hinterher und kam auf uns zu.
»Und jetzt?«, fragte ich nervös, als ich die zerzauste Ratte sah.
»Erst mal schnappen wir uns das Messer.«
»Ich weiß nicht, wie es mit dir ist, aber ich kann meine Hände nicht richtig bewegen. Ein Messer zu schnappen – das kann ich mir aus dem Kopf schlagen. Verfluchte Stricke!«
»Immer mit der Ruhe, Garrett!«
Inzwischen war das zerzauste Rattentier mit dem stolzen Namen Triumphator zu Aal gehuscht und nagte die Fessel an seinen Handgelenken durch.
»Da staunst du, was?«, fragte Aal grinsend. »Marmotte hat seine Zeit nicht vergeudet und dem Kleinen hier allerlei Tricks beigebracht!«
»Offenbar!« Ich atmete tief durch, als mir klar wurde, dass die Rettung nah war. Bald würde eines der Wilden Herzen zu uns kommen und die Tür öffnen, dann wären wir frei. Die Minuten zogen sich dahin, mein Herz hämmerte wild. Warum dauerte das alles so lange? Hatte man sie entdeckt? Waren sie abgezogen? Aber nein! Die Wilden Herzen lassen ihre Gefährten nie im Stich. Gleich würde der Riegel klappern und …
Aber der Riegel klapperte nicht. Es war überhaupt nichts zu hören, bis auf das gemeine Fauchen der Gholen natürlich, die zu ahnen schienen, dass ihr Frühstück kurz davor war zu verschwinden. Irgendwann quiekte Triumphator zufrieden und kam zu mir gerannt, während sich Aal die befreiten Handgelenke rieb.
»Dann wollen wir es denen mal zeigen.« Der Garraker stand auf, machte ein paar Kniebeugen, um das vom langen Sitzen erstarrte Blut in Bewegung zu bringen, und ging zum Messer. Genau da tat sich was im Türschloss.
»Na endlich!«, flüsterte ich – und dann, als ich sah, wie Aal auf seinen alten Platz zurückstürzte und die Hände auf den Rücken legte: »He? Was hast du?«
»Und wenn sie das nicht sind?«
O ja, Garrett, allmählich solltest du deinen Kopf gegen einen Kürbis eintauschen, denn in deinem Oberstübchen hausen nur noch Luft und Walder. Daran, dass uns auch gänzlich ungebetene Gäste besuchen könnten, hatte ich gar nicht gedacht. Ob ich allmählich alt wurde?
Und Aal hatte recht. Es waren nicht unsere Retter, die hereinkamen.
Schandmaul trat ein, gelassen und völlig unvertraut. Er hatte die Person, die er in den letzten vierzehn Jahren gewesen war, völlig abgeschüttelt und lehnte sich gegen die uns gegenüberliegende Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und stierte auf einen nur ihm sichtbaren Punkt, der sich über Aal befand.
Lilanase baute sich in meiner Nähe auf, wies mit dem Finger auf mich und erklärte dem dritten Mann in ihrem Gefolge: »Der da, Herr Risus, ist der Dieb,
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