Schattenstürmer
hatten.«
Miralissa hatte sich damals gewaltig anstrengen müssen, damit die Stadtwache nicht unsere aus irgendwelchen Lumpen hervorlugenden Waffen bemerkte. Jetzt antwortete sie Deler mit einem höflichen, aber kalten Nein, sodass der Zwerg seine geliebte Streitaxt in der Schenke lassen musste. Bedarf es noch der Versicherung, dass Deler dieser Umstand nicht sonderlich beglückte?
Je näher wir dem Anwesen der Nachtigallen kamen, desto ruhiger wurde ich. Das nervöse Zittern, das mich vor jeder Tat erfasste, legte sich. Begab ich mich denn zum ersten Mal in eine riskante Situation? Eine Zeit lang den Dralan zu mimen, das war doch weit ungefährlicher, als die auf den eigenen Kopf ausgesetzte Belohnung aus dem Haus des Baron Fragon Lonton zu stehlen. Und im Vergleich zu einem Spaziergang durchs Geschlossene Viertel oder dem Eindringen in die Beinernen Paläste war es ein Kinderspiel. In eine Grube voller Nattern zu springen und wieder herauszukriechen – sollte das etwa eine Herausforderung für einen gestandenen Meisterdieb sein?
»Garrett«, sprach mich Egrassa an, während er mit dem Daumen die Schärfe seines Krummdolchs prüfte. »Sag uns Bescheid, sobald du den Aufbewahrungsort des Schlüssels erspürt hast! Und begib dich danach sofort zum Ausgang des Hauses!«
»Mach ich.«
Egrassa hatte recht, wir sollten das Schicksal nicht herausfordern. Je länger wir uns in diesem Haus herumdrückten, desto größer war die Gefahr, Schwierigkeiten zu bekommen. Ich bat Sagoth inständig, niemand im Haus von Balistan Pargaide möge den echten Herzog Ganet Schagor kennen, andernfalls konnten wir nämlich derart in die Bredouille geraten, dass uns selbst Miralissas Schamanenzauber nicht retten würde. Auch meinen liebsten Freund, den alten Bleichling, durfte ich keineswegs vergessen. Mochte er die Stadt auch verlassen haben – diesem Schuft war zuzutrauen, dass er zur Unzeit wieder auftauchte.
»Woran denkst du, Garrett?«, fragte der Narr und klimperte mit den Glöckchen.
»An die Launenhaftigkeit des Schicksals und etwaige Schwierigkeiten«, antwortete ich ehrlich.
»Mach dir keine Sorgen, Schattentänzer. Ich bin ja bei dir!«
Gerade das bereitete mir Sorgen.
»Wir haben schon mehrere Tage verloren«, warf Miralissa ein und steckte eine Strähne ihrer Frisur fest. »Der August hat bereits angefangen, und wir haben die Isselina noch nicht mal überquert. Wenn das so weitergeht, werden wir erst Anfang September in Hrad Spine sein.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Egrassa. »Von Ranneng aus sind es bis zum Schwarzen Fluss nur zwei Tagesritte, anschließend brauchen wir zwei Wochen bis zum Grenzkönigreich und dann weitere drei Tage bis nach Sagraba. Haben wir Sagraba aber erst einmal erreicht, so sind wir in einer Woche in Hrad Spine. Wir müssten also noch Ende August eintreffen.«
»Das ist nicht unser Gebiet, Egrassa«, gab die Elfin zu bedenken. »Das Osttor von Hrad Spine liegt auf Orkland. Wir können einfach nicht abschätzen, wie viel Zeit wir brauchen werden, um durch den Goldenen Wald zu kommen.«
Genauso wenig wie wir wussten, auf wen wir unterwegs treffen würden. Und wie lange ich in Hrad Spine bräuchte. Ob ich das Flügeltor würde öffnen können. Oder in dem Labyrinth das Horn finden. Und ob ich auch wieder aus Hrad Spine herauskäme.
»Das wird sich finden«, bemerkte Egrassa bloß und steckte den Dolch in die Scheide zurück.
Inzwischen hatte die Kutsche das Anwesen erreicht. »Wir sind da!«, brummte Kli-Kli kleinlaut.
Oho! Sogar unser Kobold wurde unruhig! Und der wollte mich beruhigen!
»Gut, Garrett, du weißt, was du zu tun hast«, sagte Kli-Kli. »Setz eine möglichst finstere Miene auf und bitte deinen Sagoth darum, dass du herausbekommst, wo der Schlüssel ist.«
Eine finstere Miene machen? Wie gefiel ihm denn die, die ich gerade aufsetzte? Ich schielte zu Kli-Kli hinüber. Der bedeutete mir mit erhobenem Daumen seine Zufriedenheit.
»Brrr!«, erklang Arnchs Stimme.
Die Kutsche blieb vor dem Tor stehen. Jemand kam herbeigeeilt. Er trug eine Paradeuniform mit dem goldenen Emblem der Nachtigallen und blieb neben dem Schlag stehen. »Die Namen, verehrte Mylords!«
»Seine Durchlaucht Herzog Ganet Schagor, die verehrten Mille und Eralier aus dem Hause des Schwarzen Mondes, der Dralan Par!«, verkündete der Narr nicht schlechter als jeder königliche Herold. »Und natürlich der Lieblingsnarr des Herzogs! Das bin ich, falls es jemand nicht begriffen haben sollte!«
Wir hatten
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