Schattenstunde
als habe
er
herausgefunden, was mein Geist von mir wollte. Aber ich merkte Simons Gesichtsausdruck an, dass er wirklich den Eindruck hatte, etwas verpasst zu haben. Und so war ich ein Stück weit froh, dass er nicht glaubte, ich wäre es gewesen, die ihn einfach hatte weiterschlafen lassen.
Als ich mich am Tisch einrichtete, kam Derek herein, ein Glas Milch in einer Hand, eins mit Saft in der anderen. Simon streckte die Hand aus, aber Derek stellte beide Gläser neben seinem Teller ab und grunzte: »Hol dir selbst was.« Simon stemmte sich vom Stuhl hoch, schlug Derek auf den Rücken und schlenderte in die Küche.
»Alles in Ordnung mit dir?«, flüsterte ich.
Dereks Blick schoss zu der zufallenden Küchentür hinüber. Er wollte Simon nicht wissen lassen, wie übel es ihm gegangen war. Ich war mir nicht sicher, ob mir das gefiel. Einen Moment lang starrten wir einander an, aber der Zug um seinen Mund teilte mir mit, dass das Thema nicht zur Diskussion stand.
»Mir geht’s gut«, knurrte er einen Moment später. »Das Tylenol hat irgendwann doch noch gewirkt.«
Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und die Augen selbst waren eine Spur blutunterlaufen, aber das war bei meinen nicht anders. Er war bleich, und die Akne wirkte röter als sonst. Müde, aber es ging ihm besser. Ich sah keine Anzeichen von Fieber in seinen Augen, und nach der Art, wie er über seine Haferflocken herfiel, hatte er auch den Appetit nicht verloren.
»Gesundheitscheck abgeschlossen, Dr. Saunders?«, murmelte er mir zu.
»Ich nehm’s an.«
Ein Grunzen, während er mehr braunen Zucker in seine Schale schaufelte. »Wie gesagt, irgendeine Reaktion auf irgendwas.« Er aß drei riesige Löffel Haferflocken. Dann fragte er, den Blick nach wie vor auf sein Frühstück gerichtet: »Was ist los?«
»Ich hab doch kein Wort gesagt.«
»Irgendwas stimmt nicht. Was ist es?«
»Nichts.«
Er drehte den Kopf und hielt meinen Blick fest. »So?«
»Ja.«
Ein Schnauben, und gerade als Simon zurückkam, wandte er sich wieder seiner Schale zu.
»Hat einer von euch die Aufgabenliste für den Vormittag gesehen?«, fragte er, während er mir ein Glas Orangensaft hinstreckte. Er setzte sich und griff nach der Zuckerdose. Derek nahm sie ihm aus der Hand, zögerte und streute dann noch mehr Zucker auf seine Haferflocken. Ich sah einen Blick zwischen ihnen hin und her gehen. Simon trank einen Schluck Orangensaft und sagte: »Wir sind zum Laubkehren eingeteilt. Die Van Dop will das tote Zeug vom letzten Herbst weggeräumt haben.«
Während er sprach, hob Dereks Blick sich forschend zu meinem Gesicht. Ich sah fort und biss in meinen Apfel.
Der Samstag war in der Tat der Tag der Hausarbeit. Unter normalen Umständen hätte ich bei der Aussicht darauf gestöhnt – und mir gewünscht, stattdessen im Unterricht zu sitzen –, aber an diesem Tag passte uns das Arrangement bestens. Dr. Gill, Ms. Wang und Miss Van Dop waren nicht da, Ms. Abdo war unterwegs und erledigte Einkäufe, und Mrs. Talbot war mit Papierkram beschäftigt. Somit stand uns das ganze Haus offen, und ich hatte eine Entschuldigung, ungestört mit Simon reden zu können. Ich bot ihm meine Hilfe beim Laubzusammenrechen an, während Derek oben war und die Betten frisch bezog.
»Du hast es dir anders überlegt«, sagte Simon, als wir so weit vom Haus entfernt waren, dass man uns von dort aus nicht mehr verstehen konnte.
»Was?«
Er bückte sich und schnürte seine Sportschuhe zu, das Gesicht gesenkt. »Das mit dem Abhauen. Und du willst es Derek nicht sagen, weil du Angst hast, dass er Theater machen könnte.«
»Das ist nicht …«
»Nein, das ist okay. Ich war überrascht, dass du’s überhaupt angeboten hast. Auf positive Art überrascht, meine ich, aber wenn du es dir anders überlegt hast, dann ist das absolut in Ordnung, und ich mache dir deswegen keinen Vorwurf.«
Ich ging weiter in Richtung Schuppen. »Ich komme mit. Außer
du
hast es dir anders überlegt und würdest mich lieber nicht dabeihaben.«
Er öffnete die Schuppentür und gab mir zu verstehen, draußen zu bleiben, während er selbst in der finsteren Höhle des Schuppens verschwand. Staub wirbelte hinter ihm auf. »Ich sollte jetzt wahrscheinlich sagen, ich
brauche
keine Unterstützung. Aber wenn ich ehrlich sein soll …«, Gerassel und Geschepper untermalten seine Worte, als er drinnen nach den Rechen fahndete, »… ich rechne nicht damit, dass es Schwierigkeiten gibt, aber ein zweites Paar Augen kann
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