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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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von Lichtern im Nachbarhaus erkennen, aber die großen Bäume schirmten alles bis auf einen matten Schimmer ab.
    Mein Blick glitt durch den schwarzen Garten und fand nur eine hellere Stelle, von der ich wusste, dass es der Schuppen war. Es war kälter als in der Nacht zuvor, und mein Atem hing in der Luft. Das einzige Geräusch war das Knarren von Ästen, so stetig und monoton wie das Ticken der Standuhr.
    Ich tat drei vorsichtige Schritte über die Veranda hinweg. Als ich die Stufen zu dem betonierten Vorplatz hinunterstieg, konnte ich weitere bleiche, über den Garten verstreute Formen erkennen – die Bank, einen Gartenstuhl, die Statue eines Engels und einen etwa fußballgroßen Klumpen in der Nähe des Schuppens.
    Irgendwo heulte ein Motor auf. Ich erstarrte. Aber es war nur ein auf der Straße vorbeifahrendes Auto. Noch zwei vorsichtige Schritte. Ich warf einen Blick über die Schulter und überlegte, zurückzurennen und eine Taschenlampe zu holen, aber Simon hatte die einzige Lampe genommen, von der ich wusste.
    Ich spähte umher. Meine Lippen öffneten sich, um Dereks Namen zu flüstern, und schlossen sich wieder. Würde er antworten? Oder sich verstecken?
    Als ich mich dem vermeintlichen Ball näherte, stellte ich fest, dass es ein großer weißer Sportschuh war. Dereks. Ich hob ihn auf und sah mich nervös um.
    Ein Windstoß erfasste mich, so kalt, dass mir die Augen zu tränen begannen. Ich rieb mir die eisige Nasenspitze, während der Wind in den Bäumen stöhnte. Dann erstarb er wieder. Aber das Stöhnen blieb. Ein langgezogenes leises Geräusch, bei dem sich mir die Härchen im Nacken aufstellten.
    Ich drehte mich langsam um. Das Geräusch brach ab. Dann kam ein unterdrücktes Husten, und als ich wieder herumfuhr, entdeckte ich einen weißen Strumpf, der hinter dem Schuppen hervorschaute.
    Ich rannte hin. Derek war dort, tief im Schatten, auf allen vieren, Kopf und Oberkörper eben noch sichtbar. Der Gestank nach Schweiß ging in Wellen von ihm aus, und dazu brachte der Wind einen scharfen, bitteren Geruch mit sich, bei dem sich mir die Kehle zusammenzog und ich unwillkürlich würgte.
    Sein Körper schien sich zu verspannen, als er röchelte. Ein trockenes, abgerissenes Geräusch.
    »Derek?«, flüsterte ich. »Ich bin’s, Chloe.«
    Er erstarrte. »Geh weg.« Die Worte waren ein gutturales, kaum verständliches Grollen.
    Ich trat näher und senkte die Stimme noch weiter ab. »Simon ist fort. Ich hab ihm gesagt, er soll schon mal gehen, und ich suche dich.«
    Sein Rücken bog sich nach oben, die Arme streckten sich, bleiche Finger gruben sich ins Gras. Ein leises Stöhnen, das in einem Grunzen endete.
    »Du hast mich gefunden. Jetzt verschwinde.«
    »Glaubst du, ich kann dich jetzt einfach hier lassen?« Ich machte einen weiteren Schritt vorwärts. Der Gestank nach Erbrochenem zwang mich, die Hand vor die Nase zu halten. Ich konzentrierte mich darauf, durch den Mund zu atmen. »Wenn du dich erbrichst, dann ist das nicht einfach nur ein Fieber. Du brauchst …«
    »Geh!«, fauchte er, und ich fuhr zurück.
    Sein Kopf fiel nach vorn. Wieder ein Stöhnen. Dieses Mal ging es in einen hohen Ton über, fast ein Wimmern. Er trug ein T-Shirt, und ich sah, wie seine Armmuskeln anschwollen, als er wieder in die Erde griff. Seine Arme wurden dunkel, als wäre ein Schatten über sie hinweggegangen, und erschienen dann wieder, bleich gegen die Dunkelheit um ihn herum.
    »Derek, ich …«
    Sein Rücken bog sich wieder, streckte sich so hoch, dass ich unter dem straff gezerrten T-Shirt die starre Linie seiner Wirbelsäule sehen konnte. Seine Muskeln wogten und zuckten. Dann sackte er wieder nach unten, sein Atem kam keuchend und abgerissen.
    »Bitte. Geh.« Die Worte waren ein dumpfes Murmeln, als versuchte er, den Mund geschlossen zu halten.
    »Du brauchst Hilfe …«
    »Nein!«
    »Simon dann also. Ich gehe Simon holen. Ich bin gleich …«
    »Nein!«
    Er wand sich, und ich konnte einen Blick auf sein Gesicht werfen. Es war verzerrt, missgestaltet. Irgendwie
falsch
. Er riss den Kopf wieder nach unten, bevor ich ganz erfasst hatte, was ich sah.
    Er würgte. Das Geräusch war fürchterlich, heftig, als hustete er seine Eingeweide heraus. Sein Rücken schoss wieder nach oben, die Gliedmaßen streckten sich, Knochen knackten. Seine Arme wurden dunkel und wieder hell, Muskeln und Sehnen zuckten. Der Mond suchte sich genau diesen Moment aus, um hinter einer Wolke hervorzukommen, und als Dereks Arme dunkel wurden,

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