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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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ich gesehen hatte, nicht während ich dort saß und ihn in seinem schweißgetränkten T-Shirt beobachtete, sah, wie er nach Atem rang, während sein Körper vor Erschöpfung und Schmerzen zitterte.
    »Geh«, flüsterte er. »Ich komme jetzt klar.«
    »Ich gehe nicht …«
    »Chloe«
, schnappte er, und der Stimme nach war er wieder ganz der alte Derek. »Geh. Hilf Simon. Sag ihm, alles in Ordnung mit mir.«
    »Nein.«
    »Chloe …« Er zog meinen Namen zu einem leisen Knurren in die Länge.
    »Fünf Minuten. Ich will einfach sicher sein, dass mit dir alles okay ist.«
    Er grunzte, aber dann verstummte er und ließ sich ins Gras fallen.
    »Schau mal, du bist tatsächlich aus deinen Klamotten rausgeplatzt«, sagte ich in dem Versuch, unbekümmert zu klingen. »Ich hoffe, du hast keine besondere Schwäche für dieses T-Shirt, das ist nämlich durch.«
    Es war ein ausgesprochen lahmer Witz, aber er sagte: »Na, immerhin bin ich nicht grün geworden.«
    »Nein, bloß …« Ich hatte »haarig« sagen wollen, aber ich brachte das Wort nicht heraus, konnte noch nicht ganz erfassen, was ich gerade gesehen hatte.
    Die Hintertür knallte. Derek fuhr hoch, und seine Hände gaben sein Gesicht frei. Seine Nase sah zerdrückt aus, breit und flach, die Wangenknochen traten hervor, und die Brauen waren dick und buschig. Nicht monströs, nicht wie ein Ungeheuer, eher wie eine künstlerische Rekonstruktion eines Neandertalers.
    Ich riss den Blick los und kroch zur Ecke des Schuppens. Er packte mich am Bein.
    »Ich passe auf«, flüsterte ich über die Schulter. »Sehe bloß mal nach.«
    Ich ließ mich auf den Bauch fallen, schob mich an die Ecke heran und spähte um sie herum. Der Strahl einer Taschenlampe schwenkte durch den Garten.
    »Eine Frau«, flüsterte ich so leise, wie ich konnte. »Es könnte Rae sein. Nein, zu dürr. Ms. Abdo vielleicht?«
    Er zog mich am Knöchel. Das Hosenbein meiner Jeans war nach oben gerutscht, und seine Hand hatte sich über dem Strumpf um meine bloße Haut geschlossen. Ich spürte seine Handfläche, rauh wie die Ballen einer Hundepfote.
    »Geh jetzt«, flüsterte er. »Ich helf dir über den Zaun. Kletter über den nächsten und …«
    Der Lichtstrahl schnitt eine helle Bahn durch den hinteren Teil des Gartens.
    »Wer ist da hinten?« Die Stimme klang hoch und scharf, mit einem leichten Akzent.
    »Dr. Gill«, flüsterte ich Derek zu. »Was macht die denn …?«
    »Egal. Geh!«
    »Ich weiß, dass dort hinten jemand ist«, rief sie. »Ich hab euch gehört!«
    Ich sah mich nach Derek um, sein Gesicht war immer noch entstellt. Dr. Gill durfte ihn so nicht sehen.
    Ich griff nach dem Schuh, den er verloren hatte, und trat einen meiner eigenen von meinen Füßen. Die Bewegung lenkte Derek so weit ab, dass ich mich losreißen und zum Gartenzaun hinüberstürzen konnte, wo ich mich in die Lücke zwischen Schuppen und Zaun quetschte. Im letzten Moment rappelte er sich auf und machte einen Satz in meine Richtung, aber ich war bereits zu weit, als dass er mich noch hätte erreichen können. Und folgen konnte er mir in den schmalen Spalt auch nicht.
    »Chloe! Komm sofort zurück! Wag es bloß nicht …«
    Ich schob mich weiter.

41
    I ch drückte mich in der engen Lücke zwischen Zaun und Schuppen vorwärts, Dereks Schuh fest in einer Hand, während ich mir mit der anderen das T-Shirt aus dem Jeansbund zerrte und das Haar zerraufte. Als ich das Ende der Schuppenwand erreicht hatte, spähte ich um die Ecke. Dr. Gill wandte mir den Rücken zu und suchte mit der Taschenlampe die andere Seite des Gartens ab.
    Ich schoss hinter ein paar Büsche und schlich mich in ihrem Schutz weiter am Zaun entlang, bis ich die Veranda erreicht hatte. Dort ging ich in die Hocke und schmierte mir etwas Erde ins Gesicht, bevor ich unter dem Knacken von Zweigen ins Freie stolperte.
    »D-Dr. Gill.« Ich stopfte mir das T-Shirt notdürftig wieder in die Hose. »Ich-ich-ich habe einfach ein bisschen Luft schnappen wollen.«
    Ich balancierte auf einem Bein, während ich versuchte, mir Dereks Schuh anzuziehen.
    »Ich glaube eigentlich nicht, dass das deiner ist, Chloe«, sagte Dr. Gill im Näherkommen, während sie mir mit der Taschenlampe in die Augen leuchtete.
    Ich schirmte die Augen gegen das Licht ab und hob den Schuh hoch, um ihn anzusehen. Dann stieß ich ein nervöses Lachen aus. »Oops. Ich hab beim Runterkommen wahrscheinlich einfach den falschen erwischt.«
    »Wo ist er?«
    »Wer?«, fragte ich.
    Sie zeigte auf den Schuh.

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