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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Schlaf gewickelt.
    Ich hatte geträumt.
    Nein, nicht geträumt. Du hast dir auch nichts vorgestellt. Du hast halluziniert.
    Dr. Gill hatte recht. Ich war schizophren.
    Aber was, wenn es das nicht ist? Was, wenn Rae recht hat, und ich Geister sehe?
    Ich schüttelte heftig den Kopf. Nein, das war jetzt wirklich Irrengeschwätz. Das würde ja bedeuten, dass Liz tot war. Das war vollkommen verrückt. Ich halluzinierte, und das würde ich einfach akzeptieren müssen.
    Ich griff unter die Matratze, holte die Pille heraus, die ich am Abend zuvor dort versteckt hatte, und schluckte sie trocken hinunter, obwohl ich dabei vor Widerwillen würgte.
    Ich musste meine Medikamente nehmen. Sie nehmen und Fortschritte machen. Sonst würden sie mich genau wie Liz in eine richtige psychiatrische Klinik verlegen.
     
    Beim Frühstück leistet mir nur Rae Gesellschaft. Tori war noch in ihrem Zimmer, und die Schwestern hatten offenbar nichts dagegen, dass sie dort blieb.
    Ich stocherte in meinem Frühstück herum, nahm immer nur ein einziges Cornflake auf den Löffel, damit es so aussah, als äße ich. Ich konnte nicht vergessen, wie viel Angst Liz gehabt hatte. Angst davor, weggebracht zu werden. Dann der Traum, von dem sie erzählt hatte, davon, dass sie festgeschnallt gewesen war, nicht hatte atmen können …
    Eine Halluzination. Im wirklichen Leben passierten solche Sachen nicht.
    Und im wirklichen Leben konnten Teenager auch keine Flaschen zum Bersten bringen und Bilder einfach von der Wand springen lassen.
    »Miss Van Dop?«, fragte ich, als sie hereinkam, um den Frühstückstisch für die Jungen zu decken. »Das mit Liz …«
    »Es geht ihr gut, Chloe. Sie ist jetzt an einem besseren Ort.«
    Bei dem Ausdruck durchfuhr mich ein Schauer, und ich hörte meinen Löffel gegen den Schüsselrand klappern.
    »Ich würde gern mit ihr reden, wenn das geht«, sagte ich. »Ich hab keine Zeit mehr gehabt, mich zu verabschieden. Oder mich dafür zu bedanken, dass sie mir am ersten Tag geholfen hat.«
    Miss Van Dops strenges Gesicht wurde weicher. »Sie muss sich eingewöhnen, aber in ein paar Tagen können wir sie anrufen, und dann kannst du mit ihr reden.«
    Na also. Liz ging es gut. Ich war einfach paranoid.
    Paranoia. Noch ein Symptom der Schizophrenie. Ich spürte einen Stich des Entsetzens und drängte ihn fort.
    Die Schwester drehte sich um und wollte gehen.
    »Miss Van Dop? Entschuldigung, ich, äh, ich hab gestern mit Mrs. Talbot geredet, weil ich gern einer Freundin eine E-Mail schicken möchte. Sie hat gesagt, das muss ich mit Ihnen besprechen.«
    »Mach einfach das E-Mail-Programm auf, schreib deinen Brief und klick auf Abschicken. Der Brief bleibt im Ausgangsfach, bis ich das Passwort eingebe.«
     
    Meine Schule hatte mir ein paar Aufgaben geschickt, also ging ich nach dem Frühstück hinauf, duschte und zog mich an und ging dann mit Rae ins Unterrichtszimmer.
    Tori war immer noch in ihrem Zimmer, und die Schwestern erlaubten es ihr. Das überraschte mich, aber ich ging davon aus, dass Tori einfach noch zu verstört war wegen Liz. Ich erinnerte mich, wie Liz gesagt hatte, Tori wäre wegen ihrer Stimmungsschwankungen hier. Vor ein, zwei Jahren war ich in einem Theater-Sommerlager gewesen und hatte dort ein Mädchen kennengelernt, bei dem die Betreuer auch von »Stimmungsschwankungen« geredet hatten. Sie war mir immer entweder überglücklich oder furchtbar unglücklich vorgekommen, ohne irgendeine Stufe dazwischen.
    Solange Tori fehlte, war ich die einzige Neuntklässlerin. Peter war in der Achten, Simon, Rae und Derek in der Zehnten. Aber das störte nicht weiter. Ich nehme an, dass es ähnlich wie in diesen Kleinstschulen war. Wir saßen alle in einem Zimmer und arbeiteten an unseren jeweiligen Aufgaben, während Ms. Wang zwischen den Tischen herumging, uns half und leise kurze Erklärungen gab.
    Vielleicht hatte das Wissen darüber, dass Ms. Wang einen Teil der Verantwortung für Liz’ Überweisung trug, mich gegen sie eingenommen, aber sie kam mir vor wie eine dieser Lehrerinnen, die widerwillig ihre Arbeit verrichten, immer mit dem Blick auf die Uhr, und nur darauf warten, dass der Tag zu Ende geht … oder eine bessere Stelle frei wird.
    Ich brachte an diesem Vormittag nicht viel zustande. Ich konnte mich nicht konzentrieren, konnte nicht aufhören, an Liz zu denken, daran, was sie getan hatte, was mit ihr passiert war.
    Die Schwestern hatten angesichts der Schäden in unserem Zimmer nicht sonderlich überrascht gewirkt.

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