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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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das Plastik zersprang. Haargel tropfte auf uns herunter.
    »Siehst du?«
    »J-j-ja.«
    Ihre Hände flogen wieder nach oben wie bei einem Dirigenten, der ein Crescendo vorgibt. Ein Bild sprang von der Wand und krachte auf den Dielenboden. Glassplitter flogen. Ein zweites fiel. Dann ein drittes. Ein Splitter bohrte sich in mein Knie. Ein runder Blutstropfen quoll hervor und rann an meinem Bein hinab.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie das Bild über meinem Bett zu zittern begann. Dann sprang es von seinem Nagel.
    »Nein!«, rief Liz.
    Ich warf mich zur Seite. Liz schubste mich aus der Fallrichtung des Bildes. Es traf stattdessen sie selbst an der Schulter. Sie krümmte sich, wir rollten zusammen vom Bett und landeten hart auf dem Fußboden.
    Ich lag auf der Seite und versuchte, zu Atem zu kommen.
    »Es tut mir so leid«, keuchte sie. »Ich wollte nicht … Siehst du, was passiert? Ich kann’s nicht kontrollieren. Ich werde wütend, und alles …«
    »Und du glaubst, es ist ein Poltergeist.«
    Sie nickte, ihre Unterlippe zitterte.
    Ich hatte keine Ahnung, was hier los war. Kein Poltergeist natürlich. Das war Schwachsinn. Aber wenn sie glaubte, dass es einer war, und glaubte, ich hätte ihm gesagt, er sollte aufhören … vielleicht würde es dann wirklich aufhören.
    »Okay«, sagte ich. »Hol die Kerze, und wir …«
    Die Tür flog auf. Mrs. Talbots Gestalt erschien als morgenmantelbekleideter Schattenriss in der Öffnung. Sie schaltete das Licht ein. Ich zuckte blinzelnd zurück.
    »O mein Gott«, sagte sie. Es war kaum mehr als ein Flüstern. »Elizabeth. Was hast du getan?«
    Ich sprang auf. »Sie war’s nicht. Ich-ich-ich …«
    Zur Abwechslung einmal stotterte ich nicht. Mir fiel einfach keine Ausrede ein. Ihr Blick glitt durch den Raum, über den mit Glassplittern übersäten Fußboden, das von der Decke tropfende Haargel, die geborstenen Make-up-Behälter und die Flecken an der Wand, und ich wusste, dass es für all das keine akzeptable Erklärung gab.
    Dann fiel ihr Blick auf mein Bein, und sie stieß einen entsetzten Schrei aus.
    »Schon okay«, sagte ich, stellte das Bein nach hinten und wischte an dem Blut herum. »Das ist nichts. Ich hab mich geschnitten. Beim Rasieren. Vorhin schon.«
    Sie ging behutsam an mir vorbei, den Blick auf den splitterbedeckten Boden gerichtet.
    »Nein«, flüsterte Liz. »Bitte nicht. Es war keine Absicht.«
    »Das ist schon okay, Liebes. Wir finden jemanden, der dir helfen kann.«
    Miss Van Dop kam mit langen Schritten herein, eine Spritze in der Hand. Sie injizierte Liz eine Lösung, während Mrs. Talbot sie zu beruhigen versuchte, ihr erklärte, dass sie sie nur in ein besseres Krankenhaus bringen würden, ein Geeigneteres, wo man ihr helfen würde, sich schneller zu erholen.
    Als Liz bewusstlos war, scheuchten sie mich aus dem Zimmer. Ich schob mich rückwärts in den Flur hinaus, als mich eine Hand am Rücken packte und mich gegen die Wand schleuderte. Als ich aufblickte, sah ich Tori über mir aufragen.
    »Was hast du mit ihr gemacht?«, fauchte sie.
    »Gar nichts.« Zu meiner Überraschung kamen die Worte klar heraus, beinahe trotzig. Ich richtete mich zu meiner ganzen Höhe auf. »Ich war’s schließlich nicht, die ihr erzählt hat, ich könnte ihr helfen.«
    »Helfen?«
    »Indem ich ihren Poltergeist kontaktiere.«
    Ihre Augen wurden weit, der gleiche entsetzte Ausdruck wie damals, als Simon zu ihr gesagt hatte, sie sollte sich nicht so widerlich aufführen. Dann wandte sie sich ab und stolperte in ihr Zimmer.

10
    D ie Sanitäter kamen, um Liz abzuholen. Ich sah zu, wie sie sie wegtrugen, schlafend auf einer Bahre, genau wie ich, als sie mich aus meiner Schule fortgebracht hatten. Luxustransport für verrückte Teenager.
    Miss Van Dop bestand darauf, dass ich eine halbe Schlaftablette nahm. Ich gab nach, aber als sie versuchte, mir danach noch eine Extradosis von meinem Anti-Halluzinations-Medikament zu verabreichen, versteckte ich die Pille unter der Zunge.
    Ich hatte seit dem Mittagessen nichts Seltsames mehr gesehen oder gehört. Das konnte natürlich daran liegen, dass die Medikamente zu wirken begannen, aber ich konnte nicht anders und hoffte, Raes wilde Theorie könnte zutreffen und meine Auszeit von der Realität wäre einfach nur ein geistiger Kurzurlaub gewesen, ausgelöst durch Stress und Hormone. Mit etwas Glück würde ich schon bald wieder die Heimreise antreten.
    Ich würde die Theorie überprüfen müssen. Also würde ich die Pille aufheben, und

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