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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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vorn.
    Als ich mich aufrichtete, spürte ich, dass die Stricke um meine Hände sich verschoben und gelockert hatten. Ich drehte die Arme gegeneinander und zog die Handgelenke auseinander. Was Tori da auch immer für einen Knoten gemacht hatte, er war wenig professionell und würde aufgehen.
    Reiche Mädchen
, dachte ich. Das war es wohl, was Rae sagen würde.
    Ich bekam die Hände frei. Als ich nach meinen Knöcheln griff, kam das Beben wieder, stärker diesmal, und ich musste mich abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
    Ein Erdbeben?
    Bei dem Glück, das ich bisher gehabt hatte, hätte es mich nicht weiter gewundert. Ich wartete, bis es vorbei war, und nahm mir dann das Seil um meine Knöchel vor. Es war verdreht und hatte mehrere Knoten, als sei es bereits geknotet gewesen, bevor Tori es gefunden hatte. Im Dunkeln den richtigen Knoten zu finden war gar nicht …
    Ein Knirschgeräusch ließ mich erstarren. Es klang, als hätte jemand einen Fuß auf den Boden hier drin gesetzt. Aber Geister machten kein Geräusch, wenn sie sich bewegten. Ich lauschte. Das Geräusch wiederholte sich, ein schiebendes, leise prasselndes Geräusch, als hätte jemand eine Hand voll Sand und Steinchen fallen lassen.
    Ich schluckte und machte mich wieder daran, den Knoten zu lösen.
    Was, wenn hier drin außer mir noch ein richtiger Mensch ist? Jemand, der mir wirklich etwas tun könnte?
    Ein Kratzgeräusch hinter mir. Ich fuhr zusammen und verzerrte mir einen Muskel in der Seite. Der Knebel erstickte meinen Schrei. Ich spähte in die Dunkelheit, während mein Herz so laut hämmerte, dass ich geschworen hätte, es hören zu können.
    Bumm-bumm-bumm.
    Das ist nicht mein Herzschlag.
    Das Geräusch kam von links, zu leise, als dass es wirklich Schritte hätten sein können. Als träfen Hände auf der harten Erde auf. Als kröche jemand auf mich zu.
    »Lass das!«
    Ich hatte die Worte nur in Gedanken aussprechen wollen, aber ich hörte, wie sie aus meiner wunden Kehle drangen und von dem Knebel erstickt wurden. Das Klopfgeräusch hörte auf. Ein gutturales Geräusch, eine Art Knurren.
    Mein Gott, hier unten ist kein zweiter Mensch, sondern irgendwas, irgendein Tier.
    Ein Maulwurf. Rae und ich hatten gestern einen toten Maulwurf gesehen.
    Ein Maulwurf? Der knurrt? Klopfgeräusche macht, die man am anderen Ende des Raums noch hört?
    Halt dich einfach still. Wenn du still bleibst, kann es dich nicht finden.
    Das gilt für Haie, du Idiot! Haie und Dinosaurier können dich nicht finden, wenn du dich still verhältst. Das hier ist doch nicht Jurassic Park!
    Hysterisches Gelächter stieg in meiner Kehle hoch. Ich schluckte es hinunter, und das Geräusch kam als eine Art Wimmern heraus. Das Klopfen wurde lauter, kam näher, begleitet jetzt von einem neuen Geräusch. Einem … Klicken.
    Klick-klack-klick-klack.
    Was war das?
    Hast du vor, hier rumzusitzen und zu warten, bis du’s weißt?
    Ich tastete nach dem Knebel, konnte aber keine lose Ecke finden, also gab ich es auf und versuchte es wieder mit dem Seil um meine Füße. Meine Fingerspitzen fuhren so schnell an ihm entlang, dass es mir in die Haut schnitt. Bei jedem Knoten tastete ich nach losen Enden, und wenn ich keine fand, tastete ich weiter, bis …
    Da war es. Ein Ende.
    Ich begann, den Knoten zu bearbeiten, zog an dieser Stelle, dann an jener, und suchte nach der Schlinge, an der ich ein Ende herausziehen konnte. Ich legte meine ganze Konzentration in die Arbeit und versuchte, die Geräusche zu ignorieren.
    Ich war dabei, die Finger unter ein Teilstück des Knotens zu schieben, als unmittelbar neben mir etwas klapperte. Ein Rascheln, dann ein
Klick-klack
.
    Ein dicker, muffiger Geruch füllte meine Nase. Dann streiften eisige Fingerspitzen meinen nackten Arm.
    Etwas in mir ließ ganz einfach los. Ein kleiner Schwall von Nässe rann mir am Bein entlang, aber ich bemerkte es kaum. Ich saß da wie erstarrt, hielt mich so still, dass mir der Kiefer weh zu tun begann.
    Ich lauschte auf das klopfende, raschelnde, klickende Ding, das mich zu umkreisen schien. Ein weiteres Geräusch kam hinzu. Ein leises Wimmern. Mein Wimmern. Ich versuchte es zurückzuhalten, aber ich konnte nicht, konnte nur auf dem Boden kauern, so voller Angst, dass mein Geist vollkommen leer war.
    Dann berührte es mich wieder. Lange, trockene, kalte, fingerartige Dinge kitzelten mich im Nacken. Ein unbeschreibliches schmatzendes, knackendes, raschelndes Geräusch sorgte dafür, dass sich mir jedes einzelne

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