Schattenstunde
Härchen aufstellte. Das Geräusch wiederholte sich, bis es kein Geräusch mehr war, sondern ein Wort. Ein fürchterliches, verzerrtes Wort, das unmöglich aus einer menschlichen Kehle kommen konnte. Ein einzelnes, endlos wiederholtes Wort.
»Hilf. Hilf. Hilf.«
Ich stürzte nach vorn, fort von dem Ding. Mit meinen immer noch zusammengebundenen Knöcheln landete ich mit dem Gesicht voran auf dem Boden, stemmte mich auf Hände und Knie hoch und kroch, so schnell ich konnte, in die Richtung der fernen Tür.
Ein zischendes, klopfendes, klickendes Geräusch kam aus der anderen Richtung.
Noch eins.
O Gott, was war das eigentlich? Wie viele von denen gab es hier?
Egal. Los, weiter!
Ich zerrte mich vorwärts, bis ich die Luke erreicht hatte. Meine Fingerspitzen streiften das Holz. Ich schob. Es rührte sich nicht.
Verriegelt.
Ich holte aus und rammte beide Fäuste dagegen, brüllte, hämmerte, schrie um Hilfe.
Kalte Finger legten sich um meinen Knöchel.
28
M eine Hand streifte etwas, das neben mir im Dreck lag. Die Streichholzschachtel.
Ich packte sie, zerrte ein Streichholz heraus, drehte die Schachtel und tastete nach der Zündfläche. Da.
»Hilf. Hilf. Mir.«
Ich wich zurück, wand mich und trat mit meinen gefesselten Füßen ziellos herum, um mich loszumachen. Das Streichholz fiel mir aus der Hand. Ich strich mit der Hand über die Erde, um es zu finden.
Nimm ein anderes!
Ich tat es. Fand die Zündfläche ein zweites Mal. Hielt das Streichholz fest zwischen den Fingern und … stellte fest, dass ich nicht wusste, wie man es anzündete. Warum auch? Im Sommerlager waren es die Betreuer, die die Lagerfeuer anzündeten. Ich hatte noch nie eine Zigarette geraucht. Ich teilte die Vorliebe vieler Mädchen für Kerzen nicht.
Du musst das doch schon mal gemacht haben.
Wahrscheinlich, aber ich konnte mich nicht erinnern …
Ist doch egal! Du hast es in Filmen gesehen, oder vielleicht nicht? Wie schwer kann’s eigentlich sein?
Ich packte das Streichholz, riss es an … und es knickte ab. Ich zerrte das Nächste heraus. Wie viele waren noch da? Nicht viele. Es war die Schachtel, die Rae schon am ersten Tag in der Hand gehabt hatte, als ich sie mit dem brennenden Streichholz erwischt hatte.
Dieses Mal fasste ich das Streichholz weiter oben in der Nähe des Kopfs. Ich riss es an. Nichts. Ich riss noch einmal, und der Kopf flammte auf und versengte mir die Finger, aber ich ließ nicht los. Die Flamme selbst war hell, aber sie verbreitete wenig Licht. Ich konnte meine Hand sehen, aber jenseits von ihr … Dunkelheit.
Nein, da war etwas, weiter rechts, das sich auf dem Dreck des Fußbodens bewegte. Ich erkannte nur eine dunkle Form, die sich auf mich zuzerrte. Groß und lang. Etwas streckte sich nach vorn. Es sah aus wie ein Arm, aber fleckig, die Hand fast weiß, lange Finger, die vor dem dunklen Hintergrund schimmerten.
Die Hand griff nach vorn, krallte sich in den Boden und zog den Körper nach. Ich erkannte Kleidung, zerrissene Sachen. Ich roch Dreck und etwas Muffiges und hielt das Streichholz höher. Das Ding hob den Kopf. Ein Schädel starrte mich an, Streifen von geschwärztem Fleisch und schmutzige, verklebte Haarsträhnen hingen herunter. Leere Augenhöhlen wandten sich mir zu. Der Kiefer öffnete sich. Zähne klickten, als es zu sprechen versuchte. Aber es kam nur das fürchterliche gutturale Stöhnen heraus.
»Hilf. Hilf mir.«
Ich schrie in den Knebel, so laut, dass ich glaubte, mein Kopf würde explodieren. Meine Blase gab jede Kontrolle über das auf, was sich noch in ihr befand. Ich ließ das Streichholz fallen. Es flackerte auf dem Fußboden und ging dann aus, aber nicht bevor ich eine Knochenhand nach meinem Bein greifen sah und einen zweiten Körper entdeckte, der sich neben den ersten schob.
Eine Sekunde lang saß ich einfach nur da und krümmte mich fast vor Angst. Meine Schreie waren kaum noch mehr als ein heiseres Keuchen. Dann legte sich die Hand um mein Bein, kalter Knochen grub sich ins Fleisch, Kleiderfetzen streiften meine nackte Haut. Ich konnte es nicht sehen, aber ich konnte es mir vorstellen, und das Bild reichte aus, um mir das Schreien in der Kehle ersterben zu lassen und mich mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurückzuholen.
Ich riss mich los, trat zu und schauderte, als mein Fuß auftraf und ich ein trockenes Knacken hörte. Als ich davonkroch, hörte ich eine Stimme, die meinen Namen sagte und dass ich innehalten sollte.
Ich versuchte den Knebel abzureißen, aber
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