Schattensturm
hin?«
»Nach unten.« Padern zuckte mit den Schultern.
Derrien warf ihm einen bösen Blick zu und ging hinab. SeinLicht glitt über metallene Treppenstufen, stieß immer wieder auf Brocken und Fetzen, die die Explosion aus dem Geländer, den Wänden, Kleidern und Körpern gerissen hatte. »Irgendwelche Besonderheiten bei den entkommenen Ratten bemerkt?«
»Von der ersten weiß ich nicht viel«, antwortete Padern hinter ihm. »Ich dachte eigentlich, dass ich ihn angeschossen hatte, aber er hat sich gegen Murdoch bis zur Explosion halten können. Die anderen waren beide ziemlich groß, einer massiv und kräftig, der andere dürr wie der Tod. War ein Albino, der zweite.«
»Eine Missgeburt also«, murmelte Derrien nachdenklich. »Und trotzdem hat er es geschafft, davonzukommen …« Er musste unweigerlich an den buckligen Brynndrech denken, ein walisischer Druide, ebenfalls missgeboren und trotzdem ein begnadeter Kämpfer.
Auf dem Treppenabsatz angekommen fand sein Scheinwerfer einen großen Fleck geronnenen Blutes. Derrien ging daneben in die Knie. »Von wem stammt der hier?«, wollte er wissen. »Ich dachte, ihr habt dort oben gekämpft!«
Padern schlug mit der Faust in die Handfläche. »Ich
wusste
, dass ich ihn erwischt habe!«
»Wen?«
»Die erste Ratte. Die von Murdoch!«
»Und?«
»Schau dir die Menge Blut an! Muss ein Schnellheiler sein, wenn er den Blutverlust so schnell wegstecken konnte!«
Padern hatte recht. Derrien nickte widerwillig. Er hatte den Schluss noch nicht selbst gezogen.
»Was ist das?«, fragte Alistair.
Derrien sah auf. Sein Blick folgte dem Lichtstrahl aus Alistairs Taschenlampe. Auf der letzten Stufe vor dem Treppenabsatz lag ein großes Buch, sein Einband aus dunklem Leder aufgeschlagen, die Seiten teils ausgerissen. Derrien stand auf und griff danach.
Der raue Einband fühlte sich kalt an, viel kälter als seine Umgebung. Derrien ließ es vor Überraschung beinahe fallen. EinSchauer lief durch seinen Arm und hinterließ Gänsehaut, die sich über seinen ganzen Körper ausbreitete. Die Kälte kam und ging, rhythmisch und langsam. Ein eisiger Pulsschlag.
»Leuchtet mal her!«, befahl er den anderen und schlug die Seiten auf.
Das Leder fühlte sich in seiner Hand hart und rissig an. Die Seiten waren aus altem, nachtschwarz gefärbtem Pergament. Im ersten Moment schienen sie leer zu sein, dann erst erkannte er, dass sie mit bräunlicher Farbe beschrieben waren. Nach mehr als zehn Jahren Krieg gegen die Schatten kannte er ihren Sadismus gut genug, um zu wissen, dass der Farbstoff Blut sein musste.
»Mehr Licht!«, befahl er und drückte Padern seine Taschenlampe in die Hand.
Als er die Schriftzeichen endlich deutlicher sehen konnte, lief ihm ein eisiger Schauer den Rücken hinab. Obwohl er nicht wusste, was sie bedeuteten, kannte er einen Teil der Symbole gut genug.
»Das sind die Zeichen aus deinem Gesicht«, flüsterte Alistair.
Derrien reagierte kaum. Zu präsent war die Nacht, in der Rabenfeder jene Schriftzeichen in sein Gesicht geritzt hatte, zu präsent war der infernale Schmerz des Dolches aus Obsidianglas, der ebenfalls die Symbole getragen hatte. Er war als Opfer vorgesehen gewesen für ein schwarzes Ritual, ein Bindungsritual, mit dem die Bergener Schatten den Dämon unter ihre Gewalt bringen wollten. Sein Herz begann wild zu pochen, als er erkannte, welch einen Fund sie hier gemacht hatten.
Nun besaß er ihre Schriften. Vielleicht hielt das allein schon die Schatten von einem erneuten Ritualversuch ab. Vielleicht stand darin sogar die Antwort auf die große Frage …
Woher kommen diese verfluchten Biester?
Er drückte das Buch Padern in die Hand und versicherte sich mit einem kurzen Blick nach oben, dass sie noch immer alleine waren. »Kümmere dich darum. Bring es nach draußen zu unserem Treffpunkt. So, dass weder Ratten noch Renegaten etwas davon mitbekommen.Das hier ist
unser
Fang.« Er sah sich noch einmal um. »Und kein Wort darüber, zu niemandem. Es
gibt
kein Buch!«
»Jawohl.« Padern nahm es, steckte es unter die Überreste seiner Jacke und klemmte es mit dem Ellbogen fest. Als Versteck war es nicht besonders effektiv. Aber Padern war ein Kundschafter-Druide und konnte sich im Notfall tarnen, um unentdeckt zu bleiben.
»Alistair, du wirst ihn begleiten.«
Der Druide nickte ihm zu, und beide wandten sich zum Gehen. Derrien folgte ihnen, um nach Orgetorix zu suchen. Der Helvetier war der Letzte seiner Druiden hier in der Außenwelt. Ansonsten hatte
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