Schattensturm
schließlich ein, genau in dem Moment, in dem er dort, wo die Stimmen hergekommen waren, ein Licht aufflammen sah. Er schätzte die Distanz auf etwa dreißig Meter, ziemlich steil über ihnen. Er erkannte Zinnen, dazu die Gesichter zweier Männer, beide mit Wollmützen auf dem Kopf und Schals vor den Nasen. Einer von ihnen hielt eine Fackel nach unten.
Baturix atmete auf. Auf diese Art und Weise würden sie sie
nie
sehen können, der Schein der Fackel reichte nicht annähernd so weit. Außerdem hatten sie sich mit dem Licht sämtliche Nachtsicht zerstört.
In diesem Moment ließ der Mann die Fackel los.
Sie fiel ihnen entgegen, ein loderndes Stück Licht, das ihre Entdeckung bedeutete. Baturix’ Augen weiteten sich vor Schreck, aber er war nicht in der Lage, sich zu rühren.
Doch die Fackel fiel zu kurz und blieb eine Serpentine überihnen auf der Treppe liegen. Er sah das Licht, das die Flamme ausstrahlte, und stellte fest, dass es keinen seiner Männer beschien. Sie befanden sich im toten Winkel. Zwei oder drei Minuten loderte die Fackel vor sich hin, bis sie im Schnee erlosch.
»Keiner rührt sich«, raunte Baturix.
Sie warteten nur ein paar Augenblicke, als von oben erneut das Schlagen vernommen werden konnte. Baturix schüttelte den Kopf. Ein zweites Mal konnten sie kein solches Glück haben. Hastig legte er einen Bolzen auf die Armbrust und zielte nach oben, während dort eine zweite Fackel aufflammte. Für einen Moment wunderte er sich, ob es klug war, im Falle ihrer Entdeckung einen Fluchtversuch über die Treppe zu wagen, oder ob ein solches Unterfangen darin enden würde, dass sie sich alle das Genick brachen. Aber was war die Alternative? Sich zu ergeben?
Die beiden Gesichter kamen wieder zum Vorschein, die Fackel in der Hand des einen eine Insel aus Licht auf einem weiten Ozean aus Dunkelheit. Baturix zielte mit wild pochendem Herzen und zittrigen Händen. Sein Finger krümmte sich um den Abzug.
Aber es würde nichts nützen. Die ganze Garnison würde sie jagen, wenn sie erst einmal entdeckt waren. Schicksalsergeben entspannte er den Finger und ließ langsam die Armbrust sinken. Was auch immer nun passierte, er hatte keinen Einfluss darauf. Mit einem Stoßgebet flehte er die Götter an, sie vor der Entdeckung zu bewahren.
Über ihnen ließ der Mann die Fackel nach unten baumeln. Diesmal holte der etwas mehr Schwung, bevor er sie losließ.
Sie stürzte ihnen entgegen. Baturix hielt, sein Körper gespannt wie eine Bogensehne, den Atem an. Die Flamme rauschte vorbei und verschwand hinter ihnen, wo sie laut hörbar auf einen Felsen unter ihnen schlug.
Baturix legte die Armbrust zur Seite. Das Licht hatte auch
seine
Nachtsicht zerstört, an einen Schuss auf die Männer über ihm war nun ohnehin nicht mehr zu denken. Die Gedanken rasten nur sodurch seinen Kopf – fliehen oder sich ergeben? Auf keinen Fall würde er kämpfen – ein Gefecht war völlig aussichtslos. Wäre er alleine, hätte er sich vielleicht anders entschieden, doch so hatte er das Leben seiner Männer zu bedenken.
Aber der erwartete Alarmruf kam nicht. Baturix zwinkerte fassungslos. Hatten sie sie nicht gesehen? Ihm fiel auf, dass auch jetzt das Licht der Fackel unter ihnen nicht an sie heranreichte, aber die Flamme war so nahe an ihnen vorbeigeflogen, dass sie sie gesehen haben
mussten
!
Oder etwa doch nicht?
Es verging eine Unendlichkeit, bis auch die zweite Fackel verlosch, eine Unendlichkeit, in der Baturix’ Beine einschliefen und sich die Kälte langsam durch seine Kleider fraß. Seine rechte Hand spürte er bereits nicht mehr. Nichts passierte. Noch einmal gab er so leise wie möglich den Befehl, sich unter keinen Umständen zu rühren, während er in Gedanken mitzählte. Eine Minute erschien ihm wie ein Jahr, doch er zwang sich zu Geduld. Es verging eine weitere, dann noch zwei und noch ein paar mehr, Zeit, in der leise der Schnee aus dem Himmel rieselte und sich sein Herzschlag langsam wieder beruhigte. Nach zehn Minuten schließlich gab er den Befehl, der alle aufatmen ließ: »Weiter! Aber mucksmäuschenstill!«
Seine Hand ging zu dem hölzernen Zylinder, den er mit der Armbrust zusammen auf dem Rücken trug. In ihm befand sich eine Art Totempflock, ein Holzpflock verziert mit Bänderungen und Federn und Göttersymbolen. Er konnte nur hoffen, dass sie oben eine Stelle fanden, ihn aufzustellen, ohne dass er sofort gesehen wurde. Dass jemand kommen und nachsehen würde, stand außer Frage nach diesen Ereignissen.
Er
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