Schattensturm
Gedanken mit den Schultern. Falls ja, konnte sie es ihm kaum übelnehmen. Es tat jedoch nichts zur Sache.
Veronika seufzte kurz. Immerhin schienen es die Schatten dort unten nicht eilig zu haben, denn das Heer wirkte noch lange nicht angriffsbereit. »Geh mit der Hälfte der Männer zurück in die Halle und wärmt euch auf«, meinte sie deshalb zu Torwald. »Es wird noch eine ganze Weile vergehen, bis es anfängt.«
Torwald nickte. Sein Kiefer war verbissen, das Gesicht über seinem flaumigen blonden Zweiwochenbart blass und fahl. Die Angst war ihm nur allzu deutlich anzusehen. Er wandte sich abund verbreitete den Befehl unter den Männern, die ihm wort- und emotionslos in Richtung der Halle folgten.
Wie Schafe zur Schlachtbank
, dachte Veronika. Ein Vergleich, der sich hoffentlich nicht bewahrheiten würde.
Sie ließ Gunnar und die verbliebenen Krieger stehen und wanderte die Mauer entlang auf die Nordseite, wo sie den Glockenturm betrat und nach oben stieg. Im Glockenraum traf sie auf Folker und Ulrik, die für
Andraste
zuständig waren und Ausschau nach ihrer Verstärkung halten sollten.
»Und, wie sieht es aus?«, fragte sie.
Die beiden schüttelten den Kopf. »Nichts«, meinte Folker.
Veronika ging zu einer der Schießscharten und spähte selbst nach draußen. Inzwischen hatte es auch im Tal geschneit, ein Anblick, der sie plötzlich an einen Skiausflug in den Alpen erinnerte, den sie vor mindestens zehn Jahren mit ihrer Familie gemacht hatte. Es war ein wunderschönes Wochenende gewesen, doch sie wunderte sich, ausgerechnet jetzt daran denken zu müssen. Schließlich hatte sie seit fast einem Monat nichts anderes als schneebedeckte Berge vor den Augen! Åndalsnes und der Fjord lagen in weiter Ferne, klein und unbedeutend, die einzelnen Häuser der Stadt kaum auszumachen. Sie verspürte Erleichterung – vermutlich war die Verstärkung einfach noch zu weit weg, um von hier gesehen werden zu können.
»Sie kommen«, entschied Veronika. »Wir müssen ihnen nur etwas Zeit geben.«
»Fürstin!«, rief in diesem Moment Gunnars Stimme über den Burghof. »Reiter!«
Veronika kletterte hastig die Leiter hinab zur Mauer und eilte den Wehrgang entlang zum Südwall. Tatsächlich näherten sich dort zwei Krieger auf Pferden, der eine ein bärtiger Mann in Fell und Wolle gekleidet, der andere in einen grauen Umhang gehüllt, dessen Kapuze keinen Blick auf sein Gesicht zuließ. Sie trugen keine weiße Fahne mit sich, aber Veronika war trotzdem klar, dass die beiden gekommen waren, um zu verhandeln.
Aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass sie uns ein gutes Angebot machen werden …
Als sie etwa auf fünfzig Meter heran waren, ging ein Raunen durch die Krieger auf der Mauer. Der Reiter im grauen Umhang war kein Mensch. Unter seiner Kapuze war immer noch nichts zu erkennen außer Schwärze, die Hände, die aus den weiten Ärmeln des Umhangs hervorragten, waren grau und knochig dürr, mit langen Krallen an jedem Finger. Es war ein Schatten und sah aus wie das Ulrichmonster, das sie damals auf dem Kosovo überfallen hatte.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie vier oder fünf ihrer Krieger ihre Bögen hoben und Pfeile auf ihre Sehne legten. »Keiner schießt ohne Kommando!«, hielt sie sie zurück. Zu Gunnar gewandt, fügte sie mit gesenkter Stimme hinzu: »Wenn es aussieht, als ob er irgendwelche Kräfte auf mich anwenden würde, tötet ihn.«
»Haben wir einen Schwarzen Pfeil auf dem Wall?«, rief Gunnar. Zwei der Krieger bejahten seine Frage.
»Gut«, murmelte Gunnar.
»Wer ist unser bester Schütze?«, fragte Veronika.
Gunnar überlegte kurz. »Wahrscheinlich Leiff.«
»Gebt Leiff die Pfeile, aber sagt ihm, dass er sie erst auf speziellen Befehl verschießen darf. »
Der Berserker nickte und gab den Befehl weiter.
Mittlerweile waren die beiden Reiter heran. »Männer!«, rief der Schatten. Seine Stimme hörte sich an wie trockenes Leder. »Edle Krieger!« Er klang eindeutig höhnisch, was Veronika die Fäuste unter ihrem Umhang ballen ließ. »Ich bin gekommen, um euch ein Angebot zu machen!«
»Wer seid Ihr?«, rief Veronika zurück. »Wir wollen wissen, mit wem wir es zu tun haben!«
»Mein Name ist Tel’shatar!«
»Und Euer Begleiter?«
Der Mann stieß ein verachtendes Schnauben aus. »Er ist ein Kriegsgefangener und Verräter. Sein Name tut nichts zur Sache.
«Veronika zog die Augenbrauen nach oben. Warum hatte er ihn dann mitgebracht? »Wer ist Euer Anführer?«, fragte sie weiter.
»Ein
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