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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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war, bis Spider schließlich doch noch die Augen senkte. Mickey machte sich jedoch keine Illusionen – es war nicht Angst oder Respekt, die den Albino den Blick hatte abwenden lassen, sondern rationale, kühle Berechnung. Ein Streit um das Rudel konnte hier und jetzt keinem nützen. Aber er spürte, dass es bald soweit sein würde. Spider war gut, und was besonders unangenehm war, Spider wusste es auch. Er würde sich nicht mehr lange damit zufrieden geben, nur eine Rudelratte zu sein. Er wollte ein eigenes Rudel.
    Er schob den Gedanken zur Seite. Das hatte Zeit, bis sie zurück in Bergen waren. »Ich rufe ihn an«, erklärte er und nahm seine Menschgestalt an.
Es wird Zeit, dass der Kerl einmal
uns
aus der Patsche hilft …
»Spider, kommst du mit?« Er glaubte nicht daran, in dieser Gegend ein öffentliches Telefon zu finden, und der Albino war, seit Sugar tot war, ihr bester Einbrecher.
    Spider nickte und stand auf.
    Draußen hatte sich der Regen mittlerweile wieder verstärkt. Mickey tastete nach der Kapuze seines Pullovers, stellte jedoch zu seinem Ärger fest, dass sie abgerissen war. Überhaupt hatte er in seinen Kleidern ein- oder zweimal zu oft die Gestalt gewechselt. Überall waren Nähte geplatzt und aufgerissen, er war ein wandelnder Haufen Lumpen, der nur noch durch Optimismus und Glück zusammengehalten wurde. Niemand, der noch alle Sinne beisammen hatte, würde ihn so in ein Haus lassen, geschweige denn zu einem Telefon.
    Ob sie in einer Nacht wie dieser einer Erregung öffentlichen Ärgernisses nachgehen?
, fragte er sich, während er über den Zaun auf den Uferweg kletterte. Es wäre peinlich, wenn jemand die Polizei rufen würde, nur weil seine Hose einen etwas tieferen Einblick bot als üblich.
    Auf dem gegenüberliegenden Ufer standen beleuchtete Fabrikhallen, deren Licht nicht ausreichte, das schwarze Band der Elbezu erhellen. Ein paar Schiffe waren zu sehen, kaum mehr als Blinklichter in der Dunkelheit. Mickey konnte sich nicht vorstellen, dass die Gegenseite auf jedem einzelnen dieser Boote Augen hatte, doch er hatte sich auch nicht vorstellen können, dass sie jede einzelne S-Bahn überwachten. Er schlug den Gedanken, zu einem der Schiffe hinauszuschwimmen, schnell zur Seite.
    Sie suchten nach einem Gebäude, dessen Fenster verrammelt waren wie für eine längere Abwesenheit. Sie irrten ein wenig durch eine Wohnsiedlung und begegneten einigen Jugendlichen mit teils stümperhafter, teils abenteuerlicher Verkleidung. Ein paar Jungen mit breiten Schultern und aufgetakelten Mädchen an ihrer Seite riefen ihnen hohle Sprüche hinterher, mit denen sie klarstellen wollten, wie cool sie waren. Mickey ignorierte sie, auch wenn er sich insgeheim ausmalte, wie Armstrong sie – alle auf einmal – zum Frühstück verspeiste.
    »Dort«, meinte Spider schließlich zu ihm. Er zeigte auf ein zweistöckiges Wohnhaus mit geschlossenen Läden vor allen Fenstern.
    Mickey nickte. »Bewegungsmelder«, raunte er, als er einen Kasten unterhalb der Hoflampe ausmachte. »Nehmen wir den Hintereingang.«
    Sie gingen an dem Haus vorbei und kletterten im toten Winkel der Lampe über den Zaun. Schnell huschten sie durch den Garten zur Kellertreppe auf der Rückseite des Gebäudes. Spiders Dietriche klimperten in seiner Hand, während der Albino die Türklinke drückte. Zu ihrer beider Überraschung war sie nicht abgesperrt.
    Sie sahen sich an. »Vielleicht ist doch jemand zu Hause«, erklärte Spider. »Hättest wohl eher Armstrong mitbringen sollen.«
    Mickey ignorierte den Kommentar. Armstrong war ein Panzer, aber um eine gewöhnliche Familie einzuschüchtern, reichte ihm Spider allemal. Er nahm die Kampfform an, winselte kurz, als mit einem Ratschen die letzte intakte Naht seiner Jacke riss, und meinte: »Wir brauchend dringend neue Klamotten! Sieh mal nach, ob du was finden kannst!« Dann suchte er die Treppe nach oben.
    Im Haus blieb weiter alles still, während er sich leise in den Flur im Erdgeschoss schlich. Alles war sauber aufgeräumt, geradezu penibel. Mickey vermutete, dass die Bewohner doch im Urlaub oder sonstwo verreist waren. Er fand das Telefon, hob den Hörer ab und atmete erleichtert auf, als er den Wählton hörte. Es gab auch Leute, die ihr Telefon sperren ließen, wenn sie für längere Zeit weg waren … Er wählte die Nummer.
    Es dauerte überraschend lange, bis sich Ashkarunas Telefonmann meldete: »Yah?«
    »Hier ist Mickey. Ich brauche den Boss.«
    »Das große A?«
    Mickey verdrehte die Augen.

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