Schattensturm
diplomatisch.
»Ha!«, stieß Derrien aus. »Das glaube ich …« Er schüttelte den Kopf. »Du würdest im Leben nichts über deinen Herrn kommen lassen, was?«
»Natürlich nicht!« Baturix war überrascht von der Direktheit des Bretonen. »Selbst wenn, läge es nicht an mir, das zu äußern. Ihr entschuldigt mich …«
Baturix hielt es für klüger sich zurückzuziehen, bevor Derrien noch etwas sagte, was er nicht hören wollte. Deshalb stand er noch einmal auf und vergewisserte sich, dass seine Männer gegessen und getrunken hatten, bevor sie sich schlafen legten. Dann sah er nach den Pferden, die in einem Abgang der Haupthöhle untergebracht waren. Die Waldläufer hatten ihnen bereits die Sättel vom Rücken genommen und ihnen Futterbeutel vor die Mäuler gehängt. Zwei Männer waren damit beschäftigt, ihnen das Fell zu striegeln. Er bedankte sich bei ihnen und ging zurück zum Feuer.
Derrien hatte sich zum Glück wieder in seine Ecke verzogen und widmete seine Aufmerksamkeit erneut dem Buch, so dass Baturix eine weitere unangenehme Unterhaltung über seinen Fürsten erspart blieb. Er zog seine nassen Kleider aus und schlug sein Lager auf. Er glaubte zwar nicht, dass in der Feuchtigkeit des Nebels irgendetwas trocknen würde, legte aber dennoch seine Kleider an das Feuer, bevor er sich hinlegte. Seine Decke war ebenfalls nass, aber wenigstens nicht völlig durchgeweicht wie der Rest seiner Sachen. Er legte sich hin.
Auf dem unbequemen Lager konnte er jeden Schlag, den ihm die Bretonen verpasst hatten, einzeln spüren. Er wusste, er würde heute Nacht nicht einschlafen. Stattdessen grübelte er darüber nach, wie es die Waldläufer wohl aushielten, Tag für Tag in dieser feuchten, kalten, nebligen, verzweifelten Dunkelheit auszuharren.
Er lag keine fünf Minuten wach, so stark war die Erschöpfung. Dann fiel er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
DERRIEN
Die Bergpforte, Niemandsland nahe Bergen, Norwegen
Mittwoch, 14. April 1999
Die Innenwelt
Als ihn seine Männer bei Morgengrauen weckten, war der Dunst in der Höhle noch dicker als am Vorabend. Das feuchte Holz des Kochfeuers brannte unruhig und knackend, darüber hing ein dampfender Topf, in dem einer seiner Männer mit einer großen Kelle rührte. Um die Feuerstelle herum lagen die Waldläufer und Baturix’ Helvetier verstreut und schliefen den tiefen Schlaf der Erschöpften. Die Luft war schlecht und stank nach Schweiß, Rauch und Fäulnis.
Derrien setzte sich auf und schlüpfte in seine Kleider, die in der Nacht kaum getrocknet waren. Dann gesellte er sich zu dem Schotten am Feuer und ließ sich einen Napf Eintopf einschenken. »Etwas losgewesen in der Nacht?«, fragte er ihn.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, Herr.«
Derrien nickte. Er nahm den Napf und einen Löffel, riss sich von dem bereitliegenden Brot einen Kanten ab und schöpfte sich mit seinem Krug Wasser aus einem Fass. Sein Blick fiel auf Baturix, der, in seine Decke gewickelt, tief und fest schlief. Sein Auge war mittlerweile blau angelaufen und geschwollen, die Schramme an der Wange und das blutige Nasenloch waren verkrustet. Er fragte sich, wer oder was den Mann so zugerichtet hatte. Die Verletzungen waren gestern Abend beinahe noch frisch gewesen. Schließlich zuckte er mit den Schultern und ging nach draußen. Es war nicht sein Problem.
Am Höhleneingang saß Scipio mit ein paar Männern und war damit beschäftigt, mit seinem Dolch den Schimmel von seiner Lederrüstungzu kratzen. »Guten Morgen, Herr«, begrüßte er ihn, ohne dabei aufzusehen.
»Guten Morgen«, erwiderte Derrien und setzte sich neben ihn auf den Fels. »Was macht der Husten?«
Draußen dämmerte der Tag heran. Die Sonne war im dichten Nebel nicht mehr als ein verwaschener heller Fleck über dem Horizont. Der Hang war übersät mit den verkohlten Überresten verbrannter Bäume, der Boden bedeckt von Asche, die die Feuchtigkeit des Nebels aufgesogen hatte und zu grauem Schlamm geworden war. Dennoch hielten sich hartnäckig ein paar Feuer, um deren orangerote Flammen giftiggrüne Auren flackerten. Derrien begann, sein Frühstück zu essen. Er störte sich nicht daran, dass es das gleiche war wie am Vorabend, nämlich Nahrung aus den eroberten Vorräten des Feindes. Als Waldläufer hatte er schon deutlich schlimmer gegessen, und oft genug hatte es auch gar nichts gegeben.
»Hört Ihr mich husten?«, fragte Scipio.
»Ich habe dich heute Nacht husten gehört.«
Scipio blickte auf, starrte
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