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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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Schwertern auf ihre Schilde klopften. Wolfgang bemerkte auch die Anspannung, die plötzlich in Herwarth und Gudrun gefahren war. Etwas passierte. Sein Mut verließ ihn, als ihm klar wurde, dass es
bald
passieren würde.
    »Mein Fürst«, versuchte er es noch einmal, aber Herwarth schnitt ihn mit einer kurzen Geste ab. Offenbar war Wolfgangs Wort heute nicht viel wert. Er seufzte und ließ die Schultern sinken. Verdammt
,
aber es war wohl sein Schicksal, hier nicht mehr zu sein als ein Zuschauer. Besorgt schüttelte er den Kopf.
    Rechts sprang wieder ein Mann nach vorne, hochgewachsen, leicht untersetzt, aber mit einem Stiernacken, der keine Zweifel über seine Kräfte ließ. Er schrie und tobte vor seinen Leuten, stachelte und spornte sie an, und als die Krieger fast so weit waren, warf er plötzlich Schwert und Schild zu Boden und schlüpfte aus seinem Hemd. Noch bevor irgendjemand reagieren konnte, schnitt er sich mit einem Messer über den Unterarm und schmierte sich das Gesicht voller Blut. Dann klaubte er seine Ausrüstung vom Boden auf und brüllte: »FOLGT MIR, MÄNNER! FOLGT MIR!« Und sie folgten ihm. Zuerst war es nur einer, dann kamen zwei weitere hinzu, dann noch zwei, und schließlich war es der ganze Schildwall, der sich durch den Sumpf arbeitete.
    Auch die andere Seite brüllte und schrie, aus Wut, Angst oder Trotz, Wolfgang wusste es nicht, aber sie schrie. Die Zaghaftigkeit, mit der die anderen durch den Sumpf stapften, machte klar, dass die Schreie auch bei ihnen nicht ohne Folgen blieben. Aber sie kamen.
Verdammt
, fluchte Wolfgang in Gedanken, aber sie kamen!
    Schweiß tropfte brennend in sein Auge. Er wischte ihn mit dem Ärmel davon und bemerkte, dass auch Herwarth schwitzte. Die Anspannung in seinem Gesicht war enorm. Er rührte sich jedoch nicht. Pferd und Reiter waren wie zu Stein erstarrt.
    Die beiden Reihen waren noch ungefähr drei Meter voneinander entfernt, als Gudrun plötzlich schrill und laut in eine Trillerpfeife blies, mehrmals, schnell hintereinander. Der Schildwall im Sumpf kam ins Stocken, Wolfgang sah, wie sich die Männer der Gegenseite anspannten und bereit machten, ihrerseits loszustürmen. Herwarth hielt seine Hände trichterförmig vor den Mundund brüllte: »AUS! STOPP! IM NAMEN VON DONAR UND WOTAN! STOOOOPP!«
    Die Krieger sahen sich verwirrt um. Auch Gudrun musste noch einmal den Befehl geben innezuhalten, und dann Herwarth noch einmal, bis die Männer endlich daran glaubten, zaghaft zuerst, bis sie sich schließlich endgültig davon überzeugt hatten, dass es vorüber war. Manche ließen sich dort, wo sie waren, auf den Boden fallen, zu Tode erschöpft, einige begannen zu weinen, ein paar fielen sich in die Arme. Viele von ihnen, da war sich Wolfgang sicher, hatten gerade den bisher schlimmsten Tag ihres Lebens durchgemacht.
    Auch Herwarth schien erleichtert. »Scheiße, für einen Moment dachte ich, sie würden nicht anhalten.«
    »Ich auch«, murmelte Gudrun. »Das hätte ich nicht erwartet.« Sie war blass geworden, totenblass, so dass feine blaue Adern in ihrem Gesicht zum Vorschein kamen. »Ich hätte es nicht soweit kommen lassen dürfen.«
    Herwarth zuckte mit den Schultern. »Das juckt jetzt keine alte Sau, Gudrun! Wir haben hier etwas gelernt, das wahrscheinlich vielen unserer Männer das Leben retten wird. Ich hätte nicht gedacht, dass es
so
schwierig ist, sie zum Kämpfen zu bringen!«
    »Nein, ich auch nicht«, erwiderte Gudrun schwach.
    »Und du hast deine neuen Hauptmänner gefunden?«
    »Ja …« Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen.
    Wolfgang starrte sie an, zuerst Gudrun, dann Herwarth, dann wieder zurück zu Gudrun. »Das war aber nicht der Grund … Nein … Ihr wollt mir jetzt aber nicht erzählen, dass
das
der Grund für dieses ganze Affentheater war!«
    »Und wenn doch?« Plötzlich war Gudrun wieder ganz die Alte. »Du warst es, der mir gesagt hat, dass ich mir neue Hauptmänner suchen soll! Na, und daran habe ich mich gehalten.«
    »Verdammt, und warum konntest du mir das dann nicht sagen? Ich bin tausend Tode gestorben!« Wolfgang war außer sich.
    Gudrun klopfte ihm auf die Schulter. »Sagen wir es mal so: Irgendwie
musste
ich mich doch dafür rächen, dass du mich an meinem ersten Tag hier so hingehalten hast, oder?« Und damit zwinkerte sie ihm zu.
    Wolfgangs Kinnlade fiel nach unten. Es kostete seine äußerste Willenskraft, Gudrun nicht doch noch vom Pferd zu werfen.

VERONIKA
     
    Schorfheide in Brandenburg, Deutschland
    Sonntag,

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