Schattensturm
hatte und davonschlenderte. Ob er wohl an ihrer Geschichte zweifelte?
»Also habt Ihr echte Kampferfahrung«, kommentierte Rolf schließlich, als sie wieder einigermaßen unter sich waren. »Res pekt , Herrin, Ihr macht so gar nicht einen solchen Eindruck.«
»Ja«, sinnierte Veronika, »hinter meinem Rücken nannten sie mich den blonden Kampfzwerg.«
Ihre Hauptmänner brachen in Gelächter aus. Ugo, der gerade den Mund voller Bier hatte, sprühte es über den ganzen Tisch und verschluckte sich dabei so heftig, dass ihm Rolf ein paar Mal kräftig auf den Rücken schlagen musste.
»GUDRUUUUUN!«, forderte die Meute einmal mehr. Sie stampften mit den Füßen auf den Boden und klapperten mit ihren Krügen. Irgendwo zerschellte ein Tonkrug auf dem Boden und rettete sie für einen kurzen Moment, als man dem Pechvogel zujubelte, doch man hatte sie nicht vergessen, und gleich darauf ging es weiter mit »GUDRUUUUUN!«
Also kletterte sie einmal mehr auf ihre Bank, hob den Krug, verschüttete etwas, da dieser mittlerweile frisch aufgefüllt worden war, setzte an und trank mit großen Schlucken.
Ihre Augen sprangen fast aus ihrem Kopf, als sich eine feurige Flüssigkeit ihre Kehle hinunterbrannte. Sie verschluckte sich, musste husten, goss sich einen ganzen Schwall über das Hemd und ging unter im schallenden Gelächter der Menge. Ihr Gesicht war feuerrot, doch sie konnte sich vor ihren Männern keine Blöße geben. Sie wartete, bis das Gelächter zum Erliegen gekommen war, hob dann erneut den Krug mit ausgestrecktem Arm, setzte ihn an, schloss die Augen und trank mehrere große Schlucke.
Jetzt bloß nicht die kleine schwache Blonde riskieren
, dachte sie dabei, während sie versuchte, den Schmerz in ihrem Hals zu ignorieren.
O mein Gott ist das scharf!
Wie viel Prozente hatte Zeug, das sie da trank?
Ich glaube, ich will es gar nicht wissen …
Die Leute schrien begeistert, als sie wieder absetzte. Sie taumelte und schwankte und wäre beinahe gestürzt, wenn sie nicht Ingomar rechtzeitig gestützt hätte. Er half ihr auch, heil von der Bank herunterzusteigen.
»Na, na!«, machte Ugo. »Alles in Ordnung?«
»Vielleicht …«, murmelte Veronika und hielt sich am Tisch fest.
Wenn das alles im Blut ist, was jetzt im Magen ist, bin ich tot …
Sie überlegte kurz, ob sie kotzen gehen sollte, entschied sich aber dagegen. Wenn sie sich jetzt übergab, war der Abend gelaufen, und eigentlich machte es ihr Spaß, hier mit ihren Leuten zu sitzen. Auf der anderen Seite, wenn sie sich hier im Suff vor ihren Männern unsterblich blamierte, was hätte das für Folgen für ihre Rolle als Anführerin?
Während sie so nachgrübelte, sah sie Wolfgang, der bei den Bierfässern stand und sich mit einem der Männer unterhielt, die an diesem Abend die Bedienung übernommen hatten. Er trug eine braune Lederhose, ein weißes Hemd und darüber einen Umhang aus Bärenfell. Er hatte sich seit dem Nachmittag rasiert, hatte dabei aber Kinn- und Oberlippenbart stehen lassen. Es stand ihm gut, fand sie. Bei dem Gedanken schoss ihr erneut die Röte ins Gesicht.
Er musste ihren Blick bemerkt haben, denn plötzlich sah er in ihre Richtung. Veronika spürte, wie ihre Ohren
noch
wärmer wurden. Wenn es dunkler wäre, würden sie wahrscheinlich zu leuchten beginnen! Wolfgang lächelte ihr zu und deutete eine kurze Verbeugung an. Dann wurde sein Lächeln plötzlich zu einem breiten Grinsen, er tippte auf seinen Krug und zeigte ihr die Faust, den Daumen nach oben.
Veronika war nicht mehr fit genug, um sofort zu verstehen, was er meinte. Stattdessen wimmelte sie zuerst einen weiteren Kerl ab, der mit ihr tanzen wollte. Das konnte der sich so denken, sie und tanzen, jetzt und in ihrem Zustand. Dann fiel ihr Blick wieder auf Wolfgang. Er unterhielt sich immer noch mit der Bedienung. Es war der Junge, der sich auch um ihren Tisch kümmerte.
Moment.
Sollte seine Symbolik von gerade eben etwa bedeuten … Misstrauisch besah sie sich ihren eigenen Krug, den genau dieser Junge kurz vorher neu aufgefüllt hatte. Konnte es wirklich sein, dass …
Natürlich konnte es sein! Dieser Schuft! Na, warte …! Wütend stand sie auf, musste sich jedoch im gleichen Moment wieder setzen, als der Boden plötzlich zu schwanken begann. Sie ließ es nicht auf einen zweiten Versuch ankommen. Wolfgang konnte gefälligst warten …
Doch es schien ganz so, als ob er keine Lust auf Warten hätte. Gemächlich schlenderte er in ihre Richtung, schon wieder dieses breite Grinsen auf
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