Schattensturm
wurde bald klar, dass es sich nicht um den Dämon gehandelt haben konnte, dafür war die Spur zu geradlinig. Wahrscheinlicher war hier ein ziemlich großer Gegenstand zum Meer hinabgezogen worden. Ein Boot vielleicht?
Sie erreichten schließlich das Ufer, wo alte Laubbäume ihre Äste bis über das Wasser reckten. Auch hier bestand der Strand aus grobem dunklem Schotter, die Böschung war dicht mit Unterholz bewachsen. Baturix schwenkte seine Fackel suchend hin und her. Doch die Spur verschwand hier und ließ sich nicht wieder finden.
Kein Wunder. Falls es tatsächlich ein Boot war, werden sie es hier wohl zu Wasser gelassen haben …
»Nach was suchen wir eigentlich?«, fragte Hastus nach einer Weile. Er war mittlerweile aus seiner Hose geschlüpft und wusch sie im Fjordwasser aus.
Baturix setzte schon zur Antwort an, als Liscorix erklärte: »Nach einem Boot.«
Etwas in seiner Stimme ließ Baturix aufhorchen. »Wahrschein lich , ja. Aber vielleicht –«
»Nicht wahrscheinlich, sondern ganz sicher. Hier ist es.«
Sie eilten zu ihm. Und ja, dort befand sich tatsächlich etwas, tief in einem Sträucherdickicht. Baturix leuchtete mit seiner Fackel zu Liscorix’ Licht.
Es war ein großes Boot. Baturix maß es mit Schritten aus und schätzte es auf gut fünfzehn Meter Länge. Die Breite passte ziemlich genau zur Breite des Pfads. Baturix glaubte, im Flackerlicht der Fackeln Kisten erkennen zu können, die wie Ruderbänke im Schiffsrumpf aufgereiht waren. Nicht zu übersehen war die Tatsache, dass das Schiff noch nagelneu war. Kein Moos wuchs auf dem hellen Holz, das offenbar gerade erst begonnen hatte, sich durch die Wettereinflüsse zu verfärben.
»Halte mal.« Liscorix gab ihm seine Fackel und kroch unter das Gebüsch. Dort fuhr er mit der Hand über die Außenhaut des Bootes, bevor er wieder hervorkroch. Baturix sah ihn fragend an. »Klinkerbauweise«, erklärte der Krieger.
Am Bug oder Heck des Schiffs schwang sich ein kunstvoll geschmückter Steven nach oben. Feine Bändermuster umschlangen ihn, brachen jedoch alle am Ende des Stevens ab, ganz so, als ob hier ein Teil abgeschnitten war oder noch hinzugefügt werden musste. Baturix sah sich um, fand aber nichts, was man dort hätte einfügen können.
In diesem Moment hörte er das Knacken und Ästebrechen von Männern, die den Pfad entlangkamen. Baturix blickte erschrocken auf und sah den Schein mehrerer Fackeln im Wald. »Wer ist dort?«, rief er laut.
»Septus aus Allobroga!«
»Baturix!«, gab Baturix zurück. »Schön, deine Stimme zu hören!«
»Ich zieh’ dir das Fell über die Ohren, wenn ich bei dir bin!«, fluchte Septus von oben.
Auch wenn sich Baturix durchaus vorstellen konnte, dass der Helvetier seine Drohung wahrmachen konnte, musste er dochgrinsen. Obwohl die panische Furcht mittlerweile nachgelassen hatte, so hatte er doch die ganze Zeit über das Gefühl einer düsteren Bedrohung empfunden, die mit Septus’ Ruf zerplatzt war wie eine Seifenblase. Er hörte sich lieber tausendmal von Septus eine Standpauke an, als dass er noch einmal einem Germanengeist gegenübertreten wollte.
»Was bedeutet eigentlich Klinkerbauweise?«, fragte er Liscorix etwas verspätet.
Der Krieger ließ sich etwas Zeit mit seiner Antwort. »Es gibt nur ein Volk, das Bootsrümpfe klinkert«, antwortete er schließlich. Baturix hörte ihn spucken. »Das Volk, das seine Bänderungen auf diese Art und Weise formt und eine Runenschrift verwendet, wie wir sie auf dem Stein gesehen haben.« Baturix wandte sich zu dem Mann, der mittlerweile totenbleich geworden war. Ihre Blicke trafen sich. Liscorix holte tief Luft, bevor er erklärte: »Wikinger.«
Baturix weinte lautlos, als er später in seinem Zelt lag. Er konnte nicht schlafen, die Gedanken kreisten in seinem Kopf. Er weinte, weil er nicht wütend sein konnte über sein Schicksal, das es jahrzehntelang so gut mit ihm gemeint hatte. Nun, da er vom Pech verfolgt wurde, glaubte er, nicht das Recht zu haben, sich darüber zu beschweren. Deshalb fluchte und schimpfte er nicht, sondern weinte.
Er weinte wegen seines toten Sohnes Markus. Er weinte wegen Cintorix’ Ungerechtigkeit. Er weinte, weil die Geschehnisse der Nacht etwas zu sehr an seinen Nerven gekratzt hatten – zuerst die Furcht vor einer heimtückischen Tat seiner Gefährten, dann die Angst vor dem Geist und schließlich die zermürbenden Gedanken, was es wohl mit diesem Boot auf sich hatte. Nicht zuletzt weinte er über Lobix, der unter seinem
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