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Schattentänzer

Schattentänzer

Titel: Schattentänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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was ich im Schein des »Feuers« sah. Nichts von dem, was mir bisher in Hrad Spine begegnet war, hielt dem Vergleich mit diesem ersten Saal der dritten Terrasse stand.
    Wohin war der rissige Stein verschwunden? Wohin hatten sich Basalt und Granit verdrückt? Die schlichte Architektur und Wandgestaltung? Die groben Statuen und die kaum behauenen Särge? All das war nach oben verbannt – damit eine überwältigende Schönheit Triumphe feiern konnte. Denn diese Schicht war ausschließlich das Werk von Elfen und Orks.
    Der Saal verband Schwarz mit sattem Purpurrot: Schwarze Wände mit roten Adern und Einschüssen, aparte schwarze Halbbögen mit roten Ornamenten, die orkischen Buchstaben nachempfunden waren, eine schwarze Decke mit roten Linien, die sich zu einem gewaltigen Spinnweb fügten. Der Boden war mit matt glänzenden schwarzen Fliesen ausgelegt, die ebenfalls rot geadert waren. Zwischen jeder Fliese gab es eine feine rote Fuge. Sobald das Licht des »Feuers« auf einen Rotton fiel, funkelte der ganze Saal und verströmte eine zauberische, märchenhafte Aura.
    Als mir die Brust zu platzen drohte, begriff ich, dass ich offenbar die Luft angehalten haben musste, seit ich den Saal betreten hatte. Nun verstand ich doch, warum diese Paläste in ganz Siala für ihre legendäre Schönheit bekannt waren, warum selbst Gnome und Zwerge einst Hrad Spine bestaunt hatten.
    Doch die Zeiten, sich an diesen Wundern zu weiden, waren inzwischen lange vorbei. Hrad Spine war kein harmloser Ort mehr. Elfen und Orks, Zwerge und Gnome, Menschen und Kobolde, sie alle wussten, was sich tief unter den Wäldern Sagrabas verbarg. Dennoch priesen auch sie ihren Enkeln in Legenden, Sagen, Mythen und Märchen die einstige Majestät der Beinernen Paläste.
    Aus irgendeinem Grund war es auf der dritten Terrasse unwahrscheinlich dunkel. Die magisch leuchtenden Wände, an die ich mich schon gewöhnt hatte, fehlten, und ohne mein »Feuer« wäre ich auf meinen Tastsinn angewiesen gewesen. Ich setzte meinen Weg mit leisen Schritten und gedrosseltem »Feuer« fort, schließlich konnte das Gesindel von Balistan Pargaide noch in der Nähe lauern.
    Dem rot-schwarzen Saal folgte ein zweiter, der genauso aussah und von dem drei Durchgänge in Säle führten, die dem ersten ebenfalls zum Verwechseln ähnelten. An diese schlossen sich abermals drei Säle an, und so ging es fort, bis in alle Ewigkeit. Das Labyrinth erschien hier nicht weniger verwirrend als in den beiden oberen Terrassen.
    Wie viele Säle sah ich in diesen Stunden? Ohne die Karten aus dem alten Turm des Ordens hätte ich mich längst in ihnen verirrt. Ebendieses Schicksal hätte auch die Diener des Herrn ereilt, befände sich nicht Lathressa in ihrer Gesellschaft. Doch die Frau mit den blauen Augen erspürte den Weg auch ohne jede Karte.
    In der dritten Terrasse mussten die jüngsten Bestattungen von Elfen und Orks stattgefunden haben, da die Grabstätten in den letzten Jahren der Waffenruhe zwischen ihnen angelegt worden waren. Beide Rassen mauerten ihre Toten (oder deren Asche) in die Wand ein. Wer es nicht wüsste, käme nie auf die Idee, hinter einem Relief, einer Zeichnung oder einer Säule die Gebeine von toten Elfen und Orks zu vermuten, die vor Jahrhunderten, vielleicht sogar vor Jahrtausenden gestorben waren.
    Die vierte Terrasse empfing mich ebenfalls mit undurchdringlicher Finsternis. Seit sechs Tagen zog ich nun schon durch Hrad Spine. Ich aß, schlief und marschierte. Ich durchstreifte Säle, Gänge und Galerien. Immer weiter, immer tiefer. Und nirgends traf ich auf eine Menschenseele. Oder ein grausames Monster mit fürchterlichen Zähnen. Was für Wesen dereinst hier unten auch gehaust haben mochten, sie waren lange tot oder in noch tiefere Schichten abgezogen.
    Allerdings roch es auf der vierten Terrasse nach Tod. In einem Saal zog sich über die Wände etwas, das an Eichenrinde erinnerte, die Decke stellte ein Geflecht aus steinernen Zweigen dar, der Boden wirkte wie zu Marmor erstarrtes Gras. In der Luft hingen die Düfte von Rosen, Zimt, Kardamon, Ingwer, Hagebutte und Moder.
    Und es gab Tote.
    Mehr als drei Dutzend. Gebeine, die von gelber, pergamentener Haut umspannt waren, in himmelblau schimmernden Stahlharnischen steckten und ihre Krummschwerter, die S’kaschs, gepackt hielten.
    Elfen. In der Mitte des Saales türmten sich besonders viele -Skelette. Das Licht meines »Feuers« entriss dem Dunkel einen auf der Seite liegenden Sarg aus schwarzer Sagraba-Eiche. Ich

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