Schattentänzer
einem eigenen kleinen Palast.
Noch einmal trat ich an den Sarg heran und musterte den Toten eindringlich. Das »Feuer« ließ sein Gesicht lebendig wirken, fast beseelt, wenn auch sehr, sehr alt. Wieder kitzelte mich ein schwacher Geruch in der Nase. Ich warf dem Toten einen letzten Blick zu und entfernte mich in der Gewissheit, er habe mir den Ring geschenkt, auch wenn das bei einem Elfen überraschte. Ich zog den Handschuh der rechten Hand aus, streifte mir den Ring über und freute mich an seinem Schliff.
In der Tiefe des Brillanten loderte ein goldener Funke auf, erlosch und flammte erneut auf. Auflodern. Dunkel. Auflodern. Der Funke knisterte so langsam und gleichmäßig, als schlage in dem Brillanten ein Herz.
Die Erkenntnis kam wie immer jäh: Mein Herz schlug im selben Takt wie der Stein. Genauer gesagt, der Stein funkelte im Takt meines Herzschlages auf. Mir war schleierhaft, was ich da für einen Ring trug und welche Folgen das haben mochte, doch ich spürte, dass zwischen mir und dem Ring dieselben Bande bestanden wie früher zwischen mir und dem Schlüssel. Auch jetzt kitzelte es ein wenig. Nach kurzer Zeit flammte der Stein nicht länger auf und verwandelte sich in einen gewöhnlichen Brillanten zurück.
Ich zog den Handschuh wieder an, um das kostbare Stück darunter zu verstecken. Dann warf ich einen letzten Blick in den Sarg, zog mir die schwarze Kapuze über den Kopf und setzte meinen Weg fort, den immer noch nicht bestatteten Elfen in dem Dunkel, das sich weiter verdichtete, zurücklassend.
Meine Schritte zerrissen die Stille. Meine Augen weideten sich an der Farbenpracht um mich herum. Schwarz und Rot, Orange und Gold, Blau und Grün, Purpur und Ocker. Glimmer ließ die Wände funkeln. Majestätische Bernsteinsäulen ragten in unerreichbare Höhen auf. Hinreißende Statuen, Wasserbecken mit Türkisböden, lindgrüne Treppen in luftiger Höhe mit hauchzartem Geländer, Galerien aus spinnwebfeinen Fäden eines mir unbekannten Metalls in der zweiten Ebene.
Tiefer und tiefer gelangte ich in die Erde hinein. Ich wollte nicht einmal daran denken, wie viele League von Steinen über mir lasteten. Dabei hatte ich erst die vierte Terrasse erreicht, es gab aber achtundvierzig und obendrein noch etliche, zu denen sich nicht einmal die Oger in ihrer Blütezeit vorgewagt hatten. Derjenige, der Hrad Spine am Anbeginn der Zeit geschaffen hatte, musste den Göttern gleich, wenn nicht gar mächtiger als sie gewesen sein. Unermüdlich stapfte ich weiter.
Die vierte Terrasse kostete mich bereits den zweiten Tag, seit einer Woche trabte ich nun schon durch Hrad Spine. Dass mich das nagende Gefühl der Einsamkeit noch nicht verrückt gemacht hatte …
Die Hälfte des Weges lag hinter mir, es blieben nur noch vier Terrassen. Nur noch! Zu den wirklich gefährlichen Orten, die in dem Gedicht erwähnt wurden, war ich noch nicht mal vorgedrungen. Wie wollte ich es da schaffen, mich zum vereinbarten Zeitpunkt wieder bei den anderen einzustellen? Noch dazu mit Horn.
Auch meine Zwiebacke und »Feuer« waren bereits auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Allmählich machte ich mir Sorgen, ich würde meine Ration kürzen und mich in undurchdringlicher Finsternis bewegen müssen. Außerdem gab es in diesem Teil kein Wasser, sodass ich mit dem Rest, der noch auf dem Boden meiner Flasche plätscherte, streng haushalten musste. Mürrisch kratzte ich mir das Gesicht: Mein Einwochenbart juckte.
Inzwischen hätte ich die Treppe zur fünften Terrasse längst erreicht haben müssen. Ob ich falsch abgebogen war? Die Karten halfen mir kaum, denn die Säle waren einander viel zu ähnlich, als dass ich mit unumstößlicher Sicherheit hätte behaupten können, mich nicht verlaufen zu haben.
Was ich jetzt suchte, war ein Saal, der zu einer langen Galerie führte. Über sie käme ich zur richtigen Treppe.
Dann hatte ich unvermutet Glück. Sozusagen. Ich gelangte zu einem kleinen Saal mit einer geschlossenen Eisentür in der gegenüberliegenden Wand und einer schmalen, vergitterten Luke im Boden. Besonders viele Türen hatte ich in Hrad Spine noch nicht gesehen. Warum also hatte man diese hier eingebaut? Und verschlossen. Doch die eigentliche Überraschung erwartete mich erst noch: Mit einem Mal schoben sich die Wände aufeinander zu, um mich bei lebendigem Leibe in diesem Raum einzumauern.
»Was soll das?«, fragte ich die Dunkelheit, auch wenn das ziemlich blöd war.
Mir antwortete ein Heulen von der Decke. Sofort befahl ich dem
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