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Schattentänzer

Schattentänzer

Titel: Schattentänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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blinden Wachtposten fünf Yard vor mir. Er schien aus Tausenden gleißender Funken zusammengesetzt, man konnte dieses Wesen nicht über längere Zeit hinweg ansehen, denn der strahlende Goldglanz trieb einem die Tränen in die Augen. Es war einen Kopf kleiner als ich und mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf ausgestattet. Kein Schwanz, keine Hörner oder Zähne. Aber warum auch von Zähnen reden – wenn das Monster nicht einmal einen Mund hatte! Und an der Stelle, wo die Augen hätten liegen sollen, klafften zwei große Löcher. Das Wesen war blind.
    Doch blind oder nicht, meinen Aufenthaltsort schien es unfehlbar festzustellen. Jedenfalls kam es auf mich zu, obendrein in aller Gemütsruhe, als wäre es meiner völlig sicher. Panisch feuerte ich einen Armbrustbolzen auf den Wächter des Kaju ab. Er pfiff jedoch durch den Körper des Wesens hindurch, ohne ihm den geringsten Schaden zuzufügen, und schlug irgendwo im Halbdunkel klirrend gegen eine Wand. Mit einer Bewegung, die ich gar nicht bemerkt hatte, befand sich die Kreatur unmittelbar vor mir. Als der Totenwächter den Arm hob, schrie ich verängstigt auf, da ich glaubte, mein Ende sei nahe. Aber das Wesen schöpfte lediglich neben meinem Ohr eine Handvoll Luft, um dann an mir vorbeizustolzieren und mir seinen Rücken zur Ansicht zu überlassen. Kaum an mir vorbei, blieb der Wächter des Kaju eine Sekunde lang reglos stehen, offenkundig darüber sinnend, warum ich noch immer am Leben war. Dann wiederholte er seinen Versuch. Mit demselben Ergebnis. Es war, als hätte eine Kraft ein Hindernis zwischen uns errichtet. Der Totenwächter sah mich zwar – so seltsam das auch klingt –, konnte mir jedoch keinen Schaden zufügen. Dank dir, Egrassa, für den Armreif!
    Unterdessen war das Wesen auf einen Lichtfleck getreten, worauf die Funken, die seinen Körper bildeten, als goldener Regen zu Boden prasselten. Alle Flecke im Saal gerieten nun neuerlich in eine Bewegung. Wie war das zu verstehen? Gaben sie mir etwa den Weg frei?
    Der Reif an meinem Arm brannte immer stärker. Schon bald würde der Schmerz derart unerträglich sein, dass ich das Schutzamulett würde abnehmen müssen, falls mir daran lag, bei Bewusstsein zu bleiben. Deshalb durfte ich keine Sekunde zaudern und musste mich zum Ausgang schlagen.
    Ohne den Flecken weiter Aufmerksamkeit zu schenken, lief ich los. Kaum berührte mein Fuß erneut einen Fleck, da bildete sich wieder ein Wächter des Kaju. Diesmal fügten sich die goldenen Funken weit schneller zu einer Figur. Doch die Kreatur versuchte nicht länger, mich anzugreifen. Ich trat noch mehrfach auf einen Fleck – aber nicht aus jedem wuchs ein solches Goldwesen heraus. In dem Fall wäre der Saal jetzt auch schon gerammelt voll gewesen. Insgesamt entstanden nur fünf Totenwächter, die sich zu einem Halbkreis zusammenfanden und mir folgten. Es war ein unsagbar schöner und zugleich schrecklicher Anblick. Fünf Goldgeschöpfe, die in meine Richtung »blickten«, sich wieder in Funken auflösten, zu einem Fleck schrumpften, für den Bruchteil einer Sekunde verschwanden, um dann neuerlich Form anzunehmen, diesmal jedoch nicht mehr über, sondern neben dem Fleck, auf den ich gerade getreten war.
    Irgendwann huschten die Flecken über den Boden zurück und richteten sich auf den nächsten Gast ein, den ihnen das Dunkel in wer weiß wie vielen Jahrhunderten bescheren mochte. Der Schmerz in meiner Hand legte sich langsam, mein Schutzamulett verwandelte sich in einen gewöhnlichen Kupferarmreif zurück.
    Ich hatte den Saal des Kaju durchquert und war am Leben geblieben. Das sollte gefeiert werden – was ich auch sogleich tat. Freilich musste ich mich anstelle von Wein mit Wasser aus einem der unterirdischen Flüsse anstelle von Wachteln mit einem halben Zwieback begnügen.
    Vierzig Schritt hinter dem Saal gabelte sich der Weg zum ersten Mal. Nun galt es, die Abzweigungen zu zählen, damit ich die richtige nicht verpasste. An der achtzehnten Abzweigung bog ich nach rechts ab.
    Wäre ich dem bisherigen Gang gefolgt, hätte er mich zu einer Treppe gebracht, die sich zur sechsten Terrasse hinunterzog. Ich zweifelte nicht im Geringsten daran, dass Lathressa mit den restlichen Männern Balistan Pargaides ebendiesen Weg genommen hatte. Deshalb würde ich einen anderen wählen, schließlich führten viele Wege zur sechsten Terrasse. Der, den das Gedicht nannte, hatte zudem den Vorteil wesentlich kürzer zu sein, über ihn käme ich genau in dem Teil der

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