Schattentänzer
und sein Ziel nie erreicht?
Und dann endete alles ebenso überraschend, wie es begonnen hatte. Ich ließ die Säle mit den toten Rittern hinter mir. Es war das erste Mal, dass sich das Gedicht geirrt hatte. Weder hatte mich jemand mit dem Schwert erledigt noch seine Fänge in mich gerammt. (Enttäuscht war ich deswegen im Übrigen nicht.) Ob ich vielleicht einfach nur einen günstigen Augenblick für meinen kleinen Spaziergang erwischt hatte?
Jemand ist vor dir hier gewesen und hat alle Gefahren beseitigt , flüsterte Walder da.
»Walder! Wenn du noch länger in meinem Schädel hausen willst, dann jag mir nie wieder einen solchen Schrecken ein!«
Eine Antwort blieb aus.
Erst jetzt ging mir auf, was der Erzmagier gesagt hatte. »Glaubst du, das war Lathressa?«
Woher soll ich das wissen?
Wunderbar! Der Sendbote hatte mir zwar versichert, der Herr wolle mir nicht mehr an die Kehle – aber Lathressa wusste nichts davon. Und sie dürfte in der Zwischenzeit nicht gerade in heißer Liebe für mich entbrannt sein.
Mit mulmigem Gefühl ging ich weiter und gelangte in einen Saal, in dem die Wände und die Decke aus Spiegelglas bestanden. In ihm wölkte milchiger Nebel auf, der den Boden meinen Blicken entzog. Seltsam. Äußerst seltsam.
Kurz vermeinte ich, etwas presse sich mir auf die Augen, doch schon in der nächsten Sekunde hatte sich dieser Eindruck wieder verflüchtigt – zusammen mit dem Ausgang. An seiner Stelle hatte sich die Spiegelwand ausgebreitet. Ich drehte mich um – und nun war auch der Eingang verschwunden. Offenbar gefiel es jemandem, mich in diesem Saal einzumauern.
Ich versuchte, nicht in Panik zu verfallen, und trat an die Stelle heran, wo sich eben noch der Ausgang befunden hatte. In der vagen Hoffnung, den Spiegel bewegen zu können, drückte ich dagegen. Doch nichts geschah. Immerhin erkannte ich jetzt, dass die Wände nicht aus Spiegelglas bestanden, sondern aus massiven Silberplatten, die lange mit Flusssand poliert worden waren. Diese Platten spiegelten ausnahmslos alles, was sich im Saal befand – nur nicht das Bild meiner bescheidenen Diebesperson.
Ich lief an den Wänden entlang, um hinter dieses Rätsel zu kommen oder einen Ausgang zu finden. Nichts. Ich drehte eine zweite Runde. Etwas hatte sich im Saal verändert, doch ich vermochte nicht zu sagen, was. Irgendwann kam ich dann endlich darauf, dass sich der Nebel gelichtet hatte und der Boden mit seinem roten und gelben Mosaik nun frei dalag.
Ich umrundete den Saal ein drittes Mal – und nun war das Mosaik grün und blau. Nach einer weiteren Runde lag eine schwarz-weiße Fläche unter mir.
Wechselte der Boden etwa ständig seine Farbe? Oder …? Nein, das konnte unmöglich sein! Ich konnte mich doch nicht im Kreis bewegt haben – und trotzdem vorwärtsgekommen sein? Sollte ich tatsächlich auf diese Weise zum Ausgang gelangen? Was blieb mir anderes übrig, als es zu versuchen?
Nach ein paar weiteren Runden tauchte unmittelbar vor mir ein Mann auf. Sofort griff ich nach dem Messer, denn das Schicksal hatte mir Bleichling vor die Nase geführt. Wie gebannt starrte der gedungene Mörder und Büttel des Herrn auf den Spiegel und schien mich gar nicht zu bemerken. Oder machte mir mein teurer Freund Rolio, der nun schon seit Awendum hinter meiner Rübe her war, da etwas vor? Er musste diesen Augenblick doch herbeigesehnt haben!
Mit der Klinge in der Hand näherte ich mich ihm. Selbst als ich neben ihm stand, rührte er sich nicht. Ein Streich mit dem Messer – und Bleichling wäre ein toter Mann.
Dann warf ich einen Blick in den Spiegel. Da waren Bleichling und der Saal, mein Bild aber fehlte nach wie vor. Rolios Kleidung war zerrissen, sein Gesicht voller Kratzer. Er trug nur noch einen Dolch und ein paar Wurfsterne am Gürtel. Sein Verstand streifte durch weit entfernte Gefilde, vor mir hatte ich bloß einen hilflosen Körper – und dem konnte ich nicht die Kehle durchschneiden. Weder meine Erziehung noch meine Ausbildung zum Meisterdieb sahen einen solchen Schritt vor. Daher nahm ich ihm bloß die Wurfsterne ab. Ich hegte zwar keine sonderliche Vorliebe für diese Waffe, aber wessen Taschen leer sind, der klage nicht über eine zu kleine Münze. Proviant hatte Rolio nicht dabei. Enttäuscht schnalzte ich mit der Zunge und überließ ihn den Spiegeln in dieser Traumwelt. Allerdings kehrte ich Bleichling selbst dann nicht den Rücken zu, als ich mich entfernte.
Kurz nachdem ich mich doch umdrehte, hörte ich ein Blubbern
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