Schattentänzer
langsam zurückkommen müßtest.«
Ich würde ein ernstes Wörtchen mit Dean reden. Obwohl ich verstehen konnte, daß er Beutlers Fragen beantwortete, wenn der seine gemeine Miene aufsetzte. »Was gibt es?«
»Einiges. Hast du Sattler gesehen?«
»Nicht seit … Nicht seit einiger Zeit. Warum?«
»Er ist verschwunden.« Beutler verschwendete keine Worte. »Ist zu Kain gegangen, direkt nach dem …« Er würde nie über diesen Vorfall reden. »Hat mit ihm geplaudert und ist dann verschwunden. Keiner hat gesehen, wie er weggegangen ist. Und niemand hat es ihm befohlen. Seitdem fehlt jede Spur von ihm. Kain ist besorgt.«
Kain war besorgt. Das war eine Untertreibung, wie die meisten Äußerungen über den Oberboß. Übersetzt in die normale Umgangssprache hieß das, Kain war mächtig angepißt.
Normalerweise gebe ich freiwillig keine Informationen heraus, schon gar nicht an die Leute vom Oberboß, aber diesmal machte ich eine Ausnahme. »Überall verschwinden Leute. Ich kann keine Spur von Morpheus Ahrm finden. Genausowenig von Eierkopf Zarth. Man könnte sagen, ich bin ebenso besorgt. Und keiner will was gesehen haben. Hast du was gehört?«
Er schüttelte den Kopf, und das Licht aus dem Spital fiel auf eine kahle Stelle an seinem Kopf. »Ich dachte, Ahrm schmollt, weil wir ihm die Bude dichtgemacht haben.«
»Das dachte ich auch. Zuerst jedenfalls. Aber das wäre nicht sein Stil, oder?«
»Nein. Frech wie er ist, hätte er uns die Schädel eingeschlagen oder uns mit einem Tritt in den Arsch an die Luft befördert, wenn er wirklich genervt gewesen wäre.«
»Jedenfalls hätte er es versucht.«
Beutler grinste. Das tat er so selten, daß ich zusammenzuckte. »Ja. Er hätte es versucht. Ich muß noch ein paar Sachen erledigen, Garrett. Und ich bin spät dran, weil ich dich wegen Sattler gesucht habe. Komm mit und red mit mir. Vielleicht können wir beide zusammen ja herausfinden, wohin die Leute verschwinden.«
Dazu hatte ich zwar keine Lust, aber ich widersprach nicht. Nicht, weil ich Angst hatte, ihn zu beleidigen. Ich dachte, daß ich vielleicht etwas erfahren könnte. Es war so eine Intuition.
Das erste, was ich erfuhr, war, daß dieser Kerl hier – im Augenblick – nicht der Beutler war, den ich kannte und verachtete. Irgend etwas beschäftigte ihn so sehr, daß seine Barrieren gegen die Umwelt brüchig wurden. Er wirkte fast menschlich – wenn auch nicht so menschlich, daß ich meine Schwester mit ihm verheiratet hätte – wenn ich eine Schwester gehabt hätte. Glücklicherweise habe ich keine, und darüber bin ich froh. Es reicht völlig, daß meine Freunde Geiseln des Schicksals sind.
30. Kapitel
Ein paar Stunden lang war ich der Überzeugung gewesen, daß Kain Morpheus und Eierkopf ausgelöscht hatte, um mich jeder Unterstützung zu berauben, falls ich auf die Idee käme, mich für das Buch der Träume zu interessieren. Manchmal glaubt man einfach, man wäre das Zentrum des Universums. Aber nachdem ich auf Beutler gestoßen war, brachen diese Spekulationen unter dem Druck der Vernunft zusammen.
Man greift nach Strohhalmen, wenn sonst nichts mehr Sinn ergibt.
Morpheus war ausgestiegen, bevor Kain die wahre Natur des Buches entdeckt haben konnte. Selbst jetzt hatte ich keinen stichhaltigen Grund zu der Annahme, er wüßte etwas über das Buch. Daß er nach dem verschwundenen Sattler suchte, machte die Sache nur noch verworrener.
Wer ließ hier ständig Leute verschwinden? Die Schlange konnte an diesen Kerlen nicht interessiert sein. Sie war hinter dem Buch der Träume her. Leute zu sammeln half ihr nicht weiter. Dieselbe Logik galt auch für Fido Ostermann.
Also: Wer hatte Grund, meine Bekannten auszumerzen?
Eine Menge Leute, wenn man sie einzeln nahm. Aber insgesamt gesehen war das keine vernünftige Lösung. Zusammen hatten sie nicht viele Feinde.
Beutler stimmte mir zu.
Wir trotteten nebeneinander her. Ich trotzte dem eisigen Wind und knurrte, daß ich keine Ahnung hätte. Andererseits hatten wir so viele Hinweise, daß ich nicht wußte, was ich damit anfangen sollte.
»Wohin gehen wir?« Das brachte mich auch nicht weiter. Ich blickte mich um. Immer noch spürte ich die Anwesenheit dieses Schattens, der ab und zu hinter mir war. Ich bemerkte nichts. Hatte ich wirklich etwas anderes erwartet?
»Tenderloin«, knurrte Beutler. Der Wind machte ihm auch zu schaffen. Er versuchte, seinen verletzten Arm zu schützen. »Ich habe dort eine Verabredung mit ein paar Zwergen.«
Ach.
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