SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
fragte Wolf.
„Nur die Organe, nicht die geschlechtliche Orientierung“, lachte Nadja. „Er kann durchaus hetero sein.“
„Dann hat er ja Glück gehabt, dass das bei ihm so ist, sonst wäre er jetzt ein Fall für dich.“
„Das ist höchstwahrscheinlich richtig. Er wird es vielleicht selbst gar nicht gewusst haben. Oft hat man das Phänomen bei eineiigen Zwillingen.“
„Meinst du, er packt es?“
„Das kann ich schlecht beurteilen“, sagte Nadja. „Immerhin lebte er noch, dann hat er auch eine Chance.“
„Sehr witzig!“, sagte Wolf und zog sein Handy aus der Tasche. „Dann wollen wir mal die Spurensicherung herbemühen, auch wenn Ostersamstag ist.“
Lena
Die Befragung von Frank Habichthorst hatte Lena mehr zugesetzt, als sie gedacht hatte. Sie zitterte am ganzen Körper und konnte nicht aufhören zu weinen. Immer schon war sie zu sensibel gewesen und dem Leben kaum gewachsen. Doch dieser sexuelle Übergriff hatte sie krank gemacht. Zuerst waren es Infekte gewesen, mit denen ihr Körper reagiert hatte. Als sich keine Ursache für die zahlreichen körperlichen Erscheinungen finden ließ, reagierte ihre Psyche. Noch immer war sie jedoch so geschwächt, dass sie bisweilen mit dem Rollstuhl gefahren werden musste.
Ihrer Mutter hatte sie erst viel später nur rudimentäre Fragmente dieses Vorfalls erzählt. Daraufhin hatte sich Rieke zunächst von Frank getrennt und ihn in die Einliegerwohnung verwiesen. Nach vielen Gesprächen mit Lena und Frank hatte sie sich damals entschlossen, den Schaden zu begrenzen. Man war übereingekommen, nichts weiter zu unternehmen, damit das Leben wieder in ruhigen Bahnen fließen konnte.
Aber nichts war jemals wieder so wie vor der Erkenntnis, dass der Mann mit dem sie lebte, ihre Tochter angefasst hatte. Sie war verraten worden und vegetierte fortan in einer Scheinwelt.
Als Lena sich beruhigt hatte, schlief sie auf dem Sofa ein. Felix, der sich Vorwürfe machte, seine Schwester überfordert zu haben, ging erleichtert in sein Zimmer nach oben, wo er sich in ein Computerspiel vertiefte und aus der realen Welt verschwand.
Leander
Leander erwachte, weil alles um ihn herum piepte. Überall waren Schläuche und Kabel. Er lag in einem Bett. Mein Gott, ich bin im Krankenhaus, dachte er. Da fiel ihm das Messer wieder ein.
Sofort sah er an sich herab, aber der Holzgriff war nicht mehr da.
Luise – schoss es ihm durch den Kopf –, war es Luise gewesen, die auf ihn eingestochen hatte? Dabei wäre sie ihn doch sowieso los gewesen. Er war doch schon dabei, zu gehen. Zu ihr. Zu Rieke, dieser warmherzigen Frau mit den tiefen Augen.
Sie hatte ihn geküsst. An jenem Abend in der Stadtkirche war ihm endlich ein Licht aufgegangen.
Er konnte sich lange Zeit nicht erklären, was es gewesen war, das ihn verwirrte, seitdem er sie kannte. Wenn er in ihrer Nähe war, fühlte er sich wohl, wollte einerseits bleiben, aber auch flüchten. Ein merkwürdiger Zustand, in dem er sich befunden hatte, bis er irgendwann begriff, dass sie ihm fehlte, wenn sie nicht da war. Ihre Nähe war nichtsdestotrotz schwer auszuhalten.
Irgendwann musste er sich eingestehen, dass seine Gefühle für sie doch anderer Natur waren. Es war jedoch undenkbar, Rieke anzusprechen oder sich mit ihr zu treffen.
Zu sehr war er in seinen Konventionen verhaftet, ein einmal gegebenes Wort nicht brechen zu wollen, auch wenn seine Ehe mit Luise keine Verbundenheit mehr bedeutete.
Doch dann hatte Rieke ihn geküsst, und plötzlich war alles anders. Er hatte in ihren Augen die Liebe gesehen, die er so sehr vermisste, und war vollkommen überwältigt. Nichts war danach mehr wie vorher gewesen. Ein Fortführen seines bisherigen Lebens war unmöglich geworden. Er hatte erkannt, dass sein bisheriger Weg falsch gewesen war, und sich entschlossen, einen neuen zu gehen.
Ganz langsam kehrte seine Erinnerung zurück. Luise und er hatten eine Auseinandersetzung gehabt. Das war so präsent, als sei es erst vor Minuten gewesen. Er wusste auch noch, dass er seine Sachen gepackt hatte. Dann fehlte ein Stück.
Er konnte es nicht greifen. Das Nächste, was er sah, war der Griff des Messers, auf den er blickte wie auf einen Leuchtturm ohne Licht. Doch was dazwischen war, diese Information verweigerte ihm sein Gedächtnis noch. Er hätte nicht sagen können, wer das Messer gegen ihn gerichtet hatte.
Doch genau das wollte Bernhard Dickmann wissen, als er an das Bett von Leander Winterstein trat. Er hatte Bescheid gegeben, dass man
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