Schattentraeumer - Roman
Gewerkschafter war
blutend zu Boden gesunken, während das Büro unbeschadet blieb. Obwohl er reichlich Blut verloren hatte, sah die Wunde schlimmer
aus, als sie war, und auch wenn Savvas es niemals zugeben würde: Die Konfrontation hatte ihn endlich auf den Heldenstatus
seiner politisch hartnäckigen Vorfahren erhoben. Michalakis hingegen war entsetzt gewesen, als er von dem Übergriff hörte.
Er bereitete ihm Sorgen,da er symptomatisch für die neue Welle der Gewalt war, welche die Insel offenbar überschwemmte. Die Zeitungen waren wieder
voll mit Artikeln über Bombardierungen, Prügeleien und Schießereien, nur dass diesmal nicht Griechen gegen Türken, sondern
Griechen gegen Griechen kämpften.
Michalakis bot seinen Arm dar, mühsam hievte sich der Freund aus dem Krankenhausbett, um das Angebot eines kurzen Spaziergangs
auf dem Gelände anzunehmen. Als Savvas an der Oberschwester vorbeikam, zwinkerte er spitzbübisch. Die Frau verdrehte die Augen.
Aber Michalakis bemerkte auch, wie sie zugleich ihr Haar zurechtstrich.
»Hat unser Held etwa eine Bewunderin?«, fragte Michalakis.
Savvas grinste. »Ich gebe mein Bestes, um sie für die Sache zu gewinnen.«
»Das glaube ich gern. Ich hoffe nur, ihr Ehemann ist kein weiterer
enosis
-Anhänger, der mit seiner Waffe herumfuchtelt.«
»Wie ich mein Glück kenne, ist er wahrscheinlich ein vollwertiges Mitglied der Junta mit eigenem Panzer.«
Als die beiden Freunde den sterilen Geruch von Station drei hinter sich ließen, um auf den kleinen Wegen zwischen den Grünflächen
des Krankenhauses umherzuspazieren, kam eine Frau mit einem fröhlichen Lächeln auf sie zu. Varnavia war Savvas’ Schwester.
Sie trug ein strahlend gelbes Kleid zu grünen Schuhen und eine blaue Schleife in ihrem wild gelockten Haar. Michalakis konnte
Marias spöttisches Lachen beinahe hören, als die junge Frau sich näherte. Seltsamerweise weckte es seinen Beschützerinstinkt.
»Mein Bruder«, begrüßte Varnavia Savvas und küsste ihn auf die Wange, bevor sie seinem Freund ein breites Lächeln schenkte.
»Michalakis.«
»Varnavia«, erwiderte er. »Schön, Sie wiederzusehen.«
»Sie sind wohl so eine Art Todesengel, nicht wahr?«
Die Kühnheit seiner Schwester ließ Savvas nach Luft schnappen, doch Michalakis konnte sehen, dass sie nur scherzte. Oder zumindest
hoffte er das. Sie waren sich fünf Monate zuvorschon einmal begegnet, kurz nach dem Mordanschlag auf den Präsidenten. Der Helikopter des Erzbischofs war unter Beschuss geraten,
als er vom Palast zu einem Gedenkgottesdienst abhob. Der Pilot wurde schwer verletzt, Makarios überstand den Angriff wie durch
ein Wunder unversehrt. Die Polizei fand später eine Sten Gun und zwei Gewehre auf dem Dach einer Schule. Varnavia war Lehrerin
an dieser Schule und hatte Michalakis, ermutigt durch Savvas, ein paar großartige Sätze zum Zitieren geliefert.
»Und beherbergen Sie immer noch Attentäter?«, fragte Michalakis zurück.
»Nicht mehr«, lachte sie. »Wir untergraben jetzt von innen.«
In den vergangenen Monaten hatte der linke Flügel spielend dreißig Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen eingefahren,
trotz der massiven Unterstützung, die dem Präsidenten nach dem gescheiterten Attentat zuteil wurde. Also war es vorstellbar,
dass die Kommunisten eines Tages den Sieg erringen würden. Savvas und das Loch in seinem Bein waren der Beweis dafür, wie
sehr das Ergebnis den kriegslüsternen Teil der Insel aufgebracht hatte, der befürchtete, Zypern könne eines Tages in die Hände
Moskaus fallen und nicht an Griechenland übergeben werden.
»Die Mutter, mit der wir uns vereinigen wollten, hat sich in eine boshafte, unmoralische Hündin verwandelt«, kommentierte
Savvas auf die ihm eigene kompromisslose Weise solche Befürchtungen. Er musste zugeben, dass sich die Linken höchstwahrscheinlich
nicht auf eine Einheit mit den Faschisten einlassen würden, die Griechenland regierten, ohne gewählt worden zu sein.
»Demokratie statt Autokratie«, jubelte Varnavia, und Michalakis wurde von ihrem Enthusiasmus angesteckt.
Am Abend fragte er seine Frau in ihrer mit Chintz und Kristall geschmückten Wohnung, was sie bevorzugte, Demokratie oder Autokratie.
Maria schaute von ihrer Zeitschrift auf, in der Models mit Fingernägeln, so scharf wie Messerklingen, undsteifen Frisuren voller Haarspray abgebildet waren. Sie schien beinahe überrascht, dass sich ihr Mann im selben Raum befand
wie sie
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