Schattentraeumer - Roman
und sie noch dazu ansprach. Sie dachte kurz über seine Frage nach, tat sie aber rasch als Nichtigkeit ab, auf die
sie nicht weiter einzugehen gedachte. Wenn Michalakis nachgehakt hätte, wäre ihm bewusst geworden, dass seine Frau Angst hatte,
er würde sie auslachen. Dann hätte sie erfahren, dass er das gar nicht vorhatte, sondern dass er nur ein Gespräch anknüpfen
wollte. Doch keiner der beiden konnte über die angenommene Beleidigung des anderen hinwegsehen, und so wandte Maria sich wieder
ihrem Hochglanzmagazin zu, während Michalakis sich eine Zeitung schnappte.
Als seine Frau eine Viertelstunde später aufstand und den Raum verließ, sah Michalakis ihrer wohlgeformten Rückseite hinterher
und erwartete seine übliche Reaktion. Entsetzt musste er feststellen, dass sich nichts in ihm regte, und diese Entdeckung
jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Sie waren beide noch jung, sie mussten noch ihr ganzes Leben miteinander verbringen,
und ohne gegenseitige Anziehungskraft drohte ihre Zukunft zu einer Ewigkeit zu werden.
Michalakis wurde ganz schwindelig beim Gedanken an die Eiseskälte seiner Frau und an sein eigenes schockierendes Desinteresse.
Wie sollten sie all die kommenden Jahre überstehen? In der Folge stürzte sich Michalakis wie ein Ertrinkender in die Arbeit.
Ein Jahr später wurde seine Hingabe mit einer Pressereise nach Moskau belohnt, wo Makarios acht Tage damit verbrachte, die
Russen zu umwerben, während Michalakis seiner Übersetzerin den Hof machte.
Die Schuldgefühle, die Michalakis nach seiner Rückkehr plagten, ließen ihn nach immer absurderen Gründen suchen, seiner Frau
fernzubleiben, was seine Gewissensbisse jedoch nur verstärkte. Überraschenderweise war es General Grivas, der ihn rettete,
indem er seinem Hausarrest in Athen entfloh und Michalakis’ lange Arbeitszeiten mit täglichen Artikeln für die erste Seite
legitimierte. Den tadellosen Quellen des Journalistenzufolge war der General im Schutz der Nacht als Priester verkleidet nach Zypern zurückgekehrt. Er hatte sofort damit begonnen,
verschiedene bewaffnete Gruppen in einer neuen Version der EOKA zu organisieren, die er EOKA-B nannte. Das Ziel der Miliz
war es, den Präsidenten zu stürzen.
Der Anblick des Blutes an dem Tuch rief Erleichterung und zugleich tiefe Traurigkeit in ihr hervor. Praxis Periode kam nur
mit wenigen Tagen Verspätung, doch die Zeit hatte gereicht, ihr sowohl plötzliche Panikattacken als auch träge Tagträume zu
bescheren. Ein weiteres ungeplantes Kind würde alles ruinieren, dessen war sie sich bewusst. Und doch sehnte sie sich heimlich
nach einem zweiten Kind.
Tief in ihrem leeren Bauch trauerte Praxi um das Baby, das nicht existierte. Sie wollte Loukis eine Familie schenken, die
so groß war wie seine eigene, doch sie wusste, dass dieser Traum nicht zu verwirklichen war und dass sie dankbar für das Glück
sein sollte, das ihr das Schicksal barmherzigerweise geschenkt hatte. Doch als die Toilettenspülung hinter ihr rauschte, fühlte
sie sich einfach nur elend. In einem Versuch, dieses Unbehagen abzuschütteln, ging sie den Segen aufsuchen, der ihr bereits
zuteil geworden war.
Elpida war in ihrem Schlafzimmer und schaute lustlos aus dem Fenster. Ihr Gesicht war blass und ihr Blick glasig. Vor einer
Woche hatte Jason die Insel verlassen, um seine unkonventionelle Ausbildung an einer Privatschule in Edinburgh zu beenden.
Zurückgelassen hatte er ein zutiefst unglückliches Herz. Andere Eltern hätten die Tränen des Mädchens vielleicht als theatralische
Äußerung einer kindischen Verliebtheit abgetan, die vorübergehen würde. Doch Praxi verstand Elpidas Schmerz, und sie konnte
ihre Hingabe spüren. Sie war nur etwas über ein Jahr älter als ihre Tochter gewesen, als sie und Loukis sich das erste Mal
geliebt hatten.
»Er kommt in den Ferien zurück«, tröstete Praxi sie und trat heran, um Elpidas dichtes schwarzes Haar zu streicheln.
»Außer er findet eine andere«, stellte Elpida fest, und die Tränen kullerten ihr die Wangen hinunter, wie sie es in der letzten
Woche nahezu pausenlos getan hatten.
»Jason findet keine andere, Elpida
mou
. Der Junge liebt dich über alles.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Das weiß ich. Ich würde sogar den Fernseher deiner Großmutter darauf verwetten.«
Elpida brachte ein kleines Lächeln zustande. Im Laufe des letzten Jahres waren sie fast in den Wahnsinn getrieben worden von
einem
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