Schattentraeumer - Roman
Sorgen macht, ist die Zukunft.«
Praxi neigte den Kopf, um sich besser auf seine Worte zu konzentrieren. Nur selten sprach Loukis seine Ängste aus, und sie
wollte ihn wissen lassen, dass sie zuhörte.
»Unsere Tochter wird erwachsen«, fuhr er fort. »Sie liebt einen Jungen, der ihre Gefühle zu erwidern scheint, und vielleicht
werden sie eines Tages heiraten. Ich hoffe jedenfalls für sie, dass ihre gegenseitige Zuneigung von Bestand ist, aber selbst
wenn nicht, wissen wir beide, dass Elpida eines Tages einmal irgendjemanden heiraten wird, und ich weiß, dass es mich umbringenwird, wenn es so weit ist. Ich werde zusehen müssen, wie sie in die Kirche schreitet, in einem aufsehenerregenden Kleid, mit
ihrem wunderschönen Lächeln, während ein anderer Mann meinen rechtmäßigen Platz als Vater der Braut einnimmt.«
»O Gott, so weit nach vorn habe ich noch nie geschaut«, gab Praxi zu.
»Nun, ich schon, und wenn ich hier liege und auf dich warte, gehen mir noch viele andere Dinge durch den Kopf.«
»Ach, Loukis …« Praxi vergrub ihr Gesicht aus Scham über ihre Selbstsucht an seinem Hals. Während sie sich wünschte, der Tag
möge mehr Stunden haben, betete er darum, dass die Zeit schneller vorüberging. Und während sie zwischen Keryneia und dem Dorf,
zwischen dem Haus ihrer Mutter und seinem Bett hin und her huschte, verbrachte Loukis seine Tage mit Arbeiten und Warten.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr Leben einzufügen, wo er sein eigenes hätte führen sollen, und Praxi war bestürzt
darüber, dass sie diejenige war, die ihn in diese Sackgasse getrieben hatte, in der er nun festsaß. Wenn sie ihn wirklich
liebte, hätte sie ihn gehen lassen müssen. Bedeutete Liebe nicht, dass man die Kraft besaß, über sich selbst hinauszuwachsen?
Sie wusste nicht, wie sie jemanden noch mehr lieben sollte, doch Loukis einer anderen zu überlassen, sich aus seiner Berührung
zu lösen und ihn ziehen zu lassen – das überstieg ihre Vorstellungskraft. Sie würde Loukis niemals verlassen. Nie im Leben.
Da sie nichts zu sagen wusste, das ihn von seinen Sorgen befreien konnte, schloss sie die Augen und stellte sich schlafend.
Nach einer Nacht voll trauriger Träume wachte Praxi am nächsten Morgen spät auf. Schnell rannte sie nach Hause und betete
darum, dass ihre Tochter noch nicht aufgestanden war. Auf halbem Weg musste sie sich hinter einer Hecke verstecken, als sie
Niki herbeilaufen sah, dicht gefolgt von ihrem Vater, der im Familienauto hinter ihr her fuhr. Zwei Monate zuvor war das Mädchen
auserwählt worden, mit der Nationalmannschaft zu trainieren, und es hieß sogar, sie solle an den nächsten OlympischenSpielen teilnehmen. Als Andreas erkannte, dass seine Tochter talentierter war, als sie alle geglaubt hatten, begann er ihr
Training ernster zu nehmen. Er sparte nun, um ihr einen privaten Ausbilder bezahlen zu können, und stand vor Sonnenaufgang
auf, um seine Unterstützung zu zeigen. Als das Mädchen und der Wagen an ihr vorüberzogen, verschlug es Praxi nicht zum ersten
Mal den Atem angesichts von Nikis Schnelligkeit.
Vor der Haustür traf sie ihre Mutter an, die ärgerlich Flugblätter einsammelte, die sich in der Hecke verfangen hatten.
»Ist Elpida wach?«
»Nein«, versicherte Elena mit finsterem Blick. »Hast du die hier gesehen?« Sie hielt Praxi die losen Zettel vor die Nase.
Ihre Tochter griff danach, um sie sich genauer anzusehen. Der Druck war primitiv, doch die Botschaft war klar. Der Text über
dem Namenszug »EOKA-B« war ein Ruf zu den Waffen. Die Flugblätter drängten alle vormaligen Helden des Widerstandes gegen die
Briten, den Kampf für
enosis
erneut aufzunehmen.
»EOKA-B!«, fauchte Elena. »Und was kommt als Nächstes? Ich habe große Lust, mir eine Waffe zu schnappen und mich selbst EOKA-C
zu nennen!«
Praxi konnte sich ein Lachen über die hitzigen Worte ihrer Mutter nicht verkneifen, die jedoch noch harmlos waren im Vergleich
zu dem Katalog an Obszönitäten, den Elena vier Monate später hervorstieß, als drei Pro-
enosis
-Bischöfe es wagten, den Rücktritt des Erzbischofs zu fordern.
Bei einer Sitzung der Heiligen Synode legten die Bischöfe von Kition, Keryneia und Pafos einen Antrag vor, in dem sie ihrem
Bruder Makarios nahelegten, die Präsidentschaft aufzugeben, da das Innehaben eines weltlichen Amtes den Regeln der Kirche
widerspräche. Siebzehn Tage später beschuldigte Makarios die Bischöfe, sich
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