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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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beugte sich zu dem Säugling
     hinunter, hielt inne und wandte sich dann langsam um. Wortlos riss sie Praxi in eine schmerzhafte Umarmung. Denn erst jetzt
     begriff sie, welch gewaltiges Opfer ihre Tochter gebracht hatte, um ihr Kind zu schützen.

6
    Der zirpende Chor der Grillen hielt jedes Mal unvermittelt inne, wenn sich die Jungs bewegten. Wolken verdeckten den Halbmond
     und sorgten für tiefe Finsternis, die zusammen mit der drückenden Luft ihre Angst immer größer werden ließ.
    »Was ist mit Schlangen?«
    »Was ist mit Schlangen?«, äffte eine andere Stimme flüsternd nach.
    »Im Ernst. Was ist mit Schlangen?«
    »Sei nicht so eine Memme.«
    »Ach, dann ist es euch also egal, wenn sie euch beißen und ihr ein Bein verliert?«
    »Keiner verliert hier ein Bein – das sind Schlangen, wie sollen die dir, bitte, ein Bein abbeißen?«
    »Nicht die Schlangen! Die Ärzte! Ich hab gehört, dass sie amputieren müssen, wenn das Gift wirkt.«
    »Du wirst tot sein, bevor wir dich zu einem Arzt bringen können.«
    »Oh, wie ungemein beruhigend … Ich hasse Schlangen!«
    »Wollt ihr jetzt endlich die Klappe halten!«, fauchte der vorderste Junge seine beiden hinterherhinkenden Kameraden an. Tonis
     Nerven lagen ohnehin schon blank, das Gezänk hinter ihm stellte seine Geduld auf eine harte Probe. Unter seinem schweißnassen
     Hemd trommelte sein Herz vor Angst, und seine Waffe drohte ihm jeden Moment aus seinen ebenso schweißnassen Fingern zu rutschen.
     Er hatte es weit gebracht, seit er in der schummrigen Kapelle in Skylloura seinen Eid abgelegt hatte. Doch diese Mission lag
     außerhalb seines Bezirks, und er fühlte sich unsicher.
    »Psst!«, zischte er plötzlich und blieb wie angewurzelt stehen. Sein Hintermann prallte gegen seinen Rücken.
    »Was ist los? Was hast du gehört?«, fragte der Junge aufgeregt.
    »Psst, verdammt!«
    Da hörten sie alle drei das Geräusch und warfen sich gleichzeitig auf den Boden. Ein Stückchen vor ihnen knackten trockene
     Zweige unter Schritten.
    »O Gott«, betete der Junge mit der Schlangenphobie. »Wie viele, glaubst du, sind es?«
    »Mindestens zwei«, schätzte Toni. Er wischte sich seine feuchten Hände an der Hose ab und zielte mit seiner Waffe in die Richtung,
     aus der die Schritte kamen. Die Jungs befanden sich auf dem Weg zu einem Versteck in der Nähe von Keryneia, wo sie Dynamit
     und Sprengstoffzünder abliefern sollten. Sollten sie geschnappt werden, drohte ihnen die Todesstrafe. Toni war gerade einmal
     siebzehn und hatte eigentlich vor, es mindestens auf das Doppelte zu bringen.
    »Wer ist da?«, bellte er auf Griechisch, als er für einen kurzen Moment mehr Mut als Angst zu spüren glaubte, woraufhin die
     Schritte innehielten und die Grillen ihr Konzert anstimmten. Die Jungs sahen sich an. Das Weiße in ihren Augen leuchtete.
    »Glaubst du, es sind die Briten?«
    »Das will ich nicht hoffen.«
    Verzweifelt versuchten sie, durch die schwarzen, knorrigen Zweige des Olivenhains etwas zu erkennen, als die Schritte wieder
     einsetzten.
    »Wer ist da?«, rief Toni abermals, diesmal mit schrillerer Stimme, denn nun hatte die Angst ihn bei der Gurgel gepackt. Schweiß
     tropfte ihm von der Stirn und lief ihm brennend in die Augen. Er wollte ihn sich gerade abwischen, als das Knacken abgefallener
     Äste und abgestorbener Zweige bedrohlich näher kam, lauter wurde, noch lauter wurde und plötzlich auf sie zuzurasen schien.
     In nackter Panik eröffneten die Jungs das Feuer. Funken stoben und Schüsse peitschten durch die Nacht, gefolgt von einem abscheulichen
     Schrei. Brüllend stürzten dieJungs vorwärts, drückten kopflos den Abzug und spuckten blindwütig Kugeln vor sich her. Sie konnten weder etwas erkennen,
     noch hörten sie etwas außer ihren eigenen kehligen Schreien und den angstvollen Schüssen. Als sie auf eine Lichtung traten,
     erstarben ihre Schreie jäh, wie angewurzelt blieben sie stehen. Der von den Wolken freigegebene Mond sandte einen Strahl schimmerndes
     Licht auf den toten Körper ihres Feindes, und der Junge mit der Schlangenphobie erbrach sich geräuschvoll. Vor ihnen lag ein
     ältlicher Esel, sein graues Fell war blutüberströmt. Das Bizarre daran: Um seine Hufen, trug er abgenutzte Schalen aus Leder,
     die den Anschein von Schuhen erweckten.
    Als Stavros am nächsten Morgen seinen ermordeten Esel entdeckte, zerriss es ihm schier das Herz. Im Maul des alten Mädchens
     klemmte ein Zettel mit einer Entschuldigung: »Ziel person verwechselt.

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