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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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Probleme?«
    Obwohl Dhespina der Meinung war, dass ihr Mann das Feingefühl eines Türpfostens besaß und ein Problem erst dann erkannte,
     wenn es Blut hustend vor seinen Augen zusammenklappte, ließ sie es dabei bewenden. Tags darauf nahm sie jedoch Marios zur
     Seite und bat ihn, seinen jüngeren Bruder im Auge zu behalten.
    »Für den Fall, dass er – was genau tut?«
    »Ich weiß es nicht … irgendetwas Merkwürdiges.«
    »Wir sprechen von Loukis«, stöhnte Marios. »Wann tut der mal nicht etwas Merkwürdiges?«
    »Du weißt schon, was ich meine«, entgegnete Dhespina ungeduldig, aber Marios wusste es wirklich nicht.
    »Und wie lange soll ich ihn im Auge behalten?«
    »Solange es nötig ist.«
    Marios sah seine Mutter an und fragte sich, ob er sie bitten sollte, etwas genauer zu werden. Doch sie hatte ihm schon den
     Rücken zugekehrt, und er schloss daraus, dass sie nicht mehr weiterreden wollte. Insgeheim betete er, Loukis möge möglichstschnell etwas »Merkwürdiges« tun, denn er hatte die Arbeit auf dem Hof allmählich satt. Er verbrachte gern Zeit mit seinem
     jüngeren Bruder, doch ihm fehlten das Licht von Christakis’ Werkstatt und der Geruch von Holz, wenn es verarbeitet wurde.
     Außerdem waren bestimmt schon die Stühle für das neue Hotel fertig, und er konnte es kaum erwarten, sie endlich zu sehen.
     Sie waren besonders edel, und sogar sein Vater hatte daran mitgearbeitet, indem er das Leder für die Sitzflächen zugeschnitten
     hatte. Diese Stühle waren praktisch ein Familienprodukt, und Marios liebte diese Vorstellung. Aber natürlich liebte er auch
     Loukis, der wichtiger war als alle Stühle, selbst solche mit Ledersitz, und sollte ihn seine Mutter bitten, Loukis für immer
     und ewig im Auge zu behalten, so würde er es tun. Allerdings konnte Marios nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, und als
     Loukis ihn fragte, warum er ihm bei seinem täglichen Spaziergang hinterherlief, statt auf dem Hof zu arbeiten, gestand Marios,
     dass ihre Mutter ihm das aufgetragen hatte, weil sie sich Sorgen machte.
    »Sorgen worüber?«
    »Also, um ehrlich zu sein, ich weiß das selbst nicht so genau«, sagte Marios. »Vielleicht glaubt sie, dass du wieder weglaufen
     willst.«
    »Ich laufe nirgendwohin«, sagte Loukis.
    »Oder dass du plötzlich tot umfallen könntest.«
    Loukis blieb stehen. »Warum sollte ich denn tot umfallen?«
    »Keine Ahnung«, gab Marios zu.
    Was auch immer der Grund war, weshalb seine Mutter ihn beschatten ließ, Loukis war sich sicher, dass sie weder Angst um sein
     Leben hatte noch befürchtete, dass er fortlaufen könnte. Aus einem ihm unerklärlichen Grund half ihm Marios’ Geständnis aus
     seinem Müßiggang heraus. In der darauffolgenden Woche schlug er seinem älteren Bruder lachend vor, ihn doch im Auge zu behalten,
     während sie Orangen für den Markt zusammenpackten und die Olivenbäume auf Krankheiten überprüften – die einzige Form von Landarbeit,
     für die sich Marios wirklich interessierte.
    »Es gab mal einen Schriftsteller, der hat Oliven als flüssiges Gold bezeichnet«, klärte Marios seinen Bruder auf. »Aber das
     stimmt natürlich nicht, das ist Poesie. Denn wenn es so wäre, wären alle Bauern auf Zypern reich wie Könige, und das ist ja
     keiner.«
    »Dann muss es wohl Poesie sein«, pflichtete Loukis ihm bei. »Wusstest du, dass es heißt, die Römer hätten die Olivenbäume
     nach Zypern gebracht?«
    »Nein«, bekannte Marios kopfschüttelnd. Staunend blickte er sich in dem Hain um. »Das muss ja eine Ewigkeit gedauert haben,
     die alle zu pflanzen.«
    Loukis verkniff sich ein Lachen, und Marios machte sich daran, die Bäume auf Pilze zu kontrollieren. Er untersuchte Stamm
     und Äste auf Anzeichen der Tuberkelkrankheit und überprüfte die Blätter auf Rußtau. Wie Loukis kam er zu dem Ergebnis, dass
     alles in Ordnung war. Marios fiel ein Stein vom Herzen: Er könnte es sich vermutlich nie verzeihen, wenn die Bäume von Herrn
     Mehmet während seiner Abwesenheit sterben würden.
    Als sie am nächsten Morgen vom Markt zurückkehrten, honorierte Loukis die schwere Arbeit seines Bruders mit 20 Cent und erklärte
     ihm dann, dass er nun in die Stadt aufbrechen würde. Marios sah ihn gequält an.
    »Schön«, rief Loukis aus und warf die Hände in die Luft. »Dann komm eben mit, wenn es dich und unsere Mutter glücklich macht.
     Aber ich gehe bloß zur Bank.«
    Sie marschierten los, und als sie die Stadt erreichten, brannte ihnen die Sonne im Nacken,

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