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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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Zwillings entsprang. Vorsichtig lehnte
     er sich wieder an Marios’ Tasche. Da entdeckte er einen dunklen Haarschopf zwischen den Sträuchern. Er deutete mit dem Kopf
     zum Friedhofseingang. »Ich glaube, wir werden beobachtet.«
    Marios sah auf und begann über das ganze Gesicht zu strahlen.
    »Elpida! Komm her zu uns«, rief er der Kleinen ermunternd zu. Doch Elpida bewegte sich keinen Schritt. Marios musste sie abholen
     und einmal herumwirbeln, bis ihre Neugier schließlich doch überwog. Sie legte ihr Händchen in Marios’ große Hand und wagte
     sich an seiner Seite tapfer vor. Erst jetzt sah Loukis, wie klein sie war – allerdings kamen ihm alle Kinder klein vor. Er
     versuchte, ihren Blick aufzufangen, doch sie versteckte sich verschämt hinter den Beinen seines Bruders.
    »Na, komm schon, Elpida
mou
, sei nicht so schüchtern, sag guten Tag. Weißt du, wer das ist?«, fragte Marios und deutete auf Loukis. Elpida nickte zaghaft.
    »Und wer?«
    Das Mädchen holte tief Luft. »Das ist der Dorftrottel.«
    Bei ihren Worten musste Loukis laut auflachen und sich den schmerzenden Brustkorb halten. Marios hingegen war verwirrt.
    »Das ist nicht der Dorftrottel, Elpida. Das ist mein Bruder.«
    Elpida riss die Augen auf. Verstört sah sie von einem zum anderen. Zögernd ging sie auf Loukis zu und streckte im Näherkommen
     ihre rechte Hand aus, um sein Gesicht zu berühren.
    »Loukis?«, fragte sie.
    Benommen von der Aufmerksamkeit des Kindes nickte Loukis vorsichtig, er wollte die Kleine nicht verschrecken.
    »Loukis«, sagte Elpida nun energischer. »Loukis, der Wolf.«
    Marios schwoll vor Stolz die Brust, denn er dachte an das Geschenk,das er dem Mädchen geschnitzt hatte, als sie noch ein Baby gewesen war.
    »Ja!«, bestätigte er. »Ja, Elpida. Loukis ist der Wolf.«
    »Du bist der Wolf«, sagte sie kichernd. »Und du bist immer da, um auf mich aufzupassen.«

13
    Am schönsten war Zypern im Frühling, zu dieser Jahreszeit trieb es Loukis regelmäßig zu morgendlichen Spaziergängen aus dem
     Haus. Wenn er unterwegs Hunger bekam, kaufte er sich etwas zu essen bei Bauern, die er nicht kannte, und seinen Durst löschte
     er an Bächen. Er streifte an der Küste entlang, marschierte auf Kieswegen, die von Büschen überwuchert waren, wanderte Berge
     hinauf, von denen er vermutete, dass sie vor Heckenschützen oder versteckten Sprengsätzen sicher waren – er ging überall dorthin,
     wo er hoffte, vor anderen Menschen seine Ruhe zu haben.
    Wohin er an diesem Morgen auch spazierte, er fiel in ein Farbenmeer: Auf den Feldern leuchteten karminrote Alpenveilchen und
     weiße und gelbe Narzissen. Zwischen grünen Weizentrieben spähten schwarze Tulpen hervor, und entlang grauer Felsen strahlten
     gelb die Sonnenröschen. Seine Mutter nannte Keryneia immer die Perle Zyperns. Doch für Loukis öffnete sich im Frühling eine
     ganze Schatztruhe voller Edelsteine: Blau, violett und purpurfarben warfen sich ihm Blumen in voller Blüte in den Weg, Schmetterlinge
     flatterten wie bunt bemalte Wolken vor ihm her. An Tagen wie diesem war Zypern geradezu atemberaubend, doch erfüllte der farbenprächtige
     Reigen Loukis heute mit einer schmerzenden Sehnsucht, und der Anblick der Schwalben, die sich um ihre Jungen kümmerten, nährte
     weiter seinen Verdacht.
    Im Sommer 1957, hatte Marios gesagt. Genauer konnte er sich nicht erinnern, obwohl er bei der Geburt dabei gewesen war; allerdings
     bestand er darauf, dass das Kind zu früh gekommen war. Loukis’ Überzeugung, dass Praxi ihre Liebe verratenhatte, geriet mehr und mehr ins Wanken, und sollte er mit seinem Verdacht recht haben, waren beinahe sieben Jahre vergangen,
     in denen aus einem Baby ein Mädchen geworden war, seine Tochter, in deren Leben er nicht die geringste Rolle gespielt hatte
     – sieben lange, verlorene Jahre. Gäbe es einen Gott, dem Loukis die Schuld zuschreiben könnte, er hätte die Fäuste gegen den
     Himmel erhoben; so konnte er sich nur über seine eigene Dummheit grämen.
    Wie immer erwartete ihn bereits seine Mutter, als er nach Hause zurückkam. Während sie ihr mitgebrachtes Essen auf Teller
     verteilte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass irgendetwas mit ihrem Sohn nicht stimmte. Er sagte nichts, doch sie spürte,
     dass er sie verstohlen beobachtete. Als sie Georgios davon erzählte, tat er ihre Bedenken als Hirngespinste einer fürsorglichen
     Mutter ab.
    »Beruhige dich, Dhespo. Meinst du nicht, der Junge hat ohne dich schon genug

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