Schattenturm
wir sind dahin gegangen, um alleine zu sein.«
»Warum wolltet ihr alleine sein?«, fragte Frank.
Shaun errötete. »Wir wollten …«
»Was?«, fragte Frank.
»Wir wollten miteinander schlafen.«
Joe schloss die Augen und atmete aus. »Und ist es passiert?«
»Irgendwie schon. Weiß nicht.«
»Wie, du weißt es nicht?«, fragte Frank. »Habt ihr oder habt ihr nicht?«
»Katie war … wissen Sie … für sie war es das erste Mal. Sie war aufgeregt.« Er brach in Tränen aus. Die Fragen wurden intimer. Jedes Wort musste ihm mühsam entlockt werden.
Schließlich mischte Richie sich ins Verhör ein.
»Wir können also festhalten, dass nichts passiert ist. Katie war zu angespannt, und das hat dich auf die Palme gebracht, oder?«
»Nein«, widersprach Shaun. »So war es nicht. Wir haben zusammen geschlafen, aber es hat ihr wehgetan, und da haben wir aufgehört.«
»Und du bist wütend geworden, weil es nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hattest?«
»Nein.«
»Sie wollte dich nicht ranlassen, und darum hast du die Nerven verloren.«
»Nein!«
»Vielleicht wusste sie noch nicht einmal, warum du mit ihr dorthin gegangen warst. Vielleicht war das alles eine große Überraschung für sie. Du hast sie ein bisschen betrunken gemacht, und dann bist du auf sie losgegangen.«
»Du Arschloch!«, schrie Shaun. Er war so in Rage, dass er sich nicht mehr beherrschen konnte. »Ich habe Katie geliebt! Du redest Schwachsinn!« Shauns Mundwinkel zuckten; Tränen rannen über seine Wangen. Anklagend zeigte er mit dem Finger auf Richie. »Du hast doch gar keine Ahnung, was passiert ist. Du warst ja nicht dabei! Ich habe Katie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen soll und dass wir sofort aufhören, wenn sie nicht will. Du weißt nichts über mich und Katie! Warum erzähle ich dir das überhaupt?«
»Du hast mich angerufen und uns gebeten, zu einem Informationsgespräch auf die Wache zu kommen, Frank, und nicht, um meinen Sohn zu beschimpfen«, sagte Joe. Sein Gesicht schmerzte bei jedem Wort. Er stützte einen Ellbogen auf den Schreibtisch, legte den Kopf auf eine Hand und hob den Blick. »Wir helfen bei den Ermittlungen. Wenn etwas gegen Shaun vorliegen würde, wäre er längst verhaftet worden. Aber das ist nicht der Fall. Abgesehen von seiner angeblichen Lüge, sich mit Katie gestritten zu haben, nachdem Richie ihn angeblich über seine Rechte belehrt hatte.« Richie kniff die Augen zusammen und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Frank legte schnell eine Hand auf seinen Arm.
»Es stimmt also, dass ihr euch gestritten habt, du und Katie?«, fragte Frank freundlich.
»Ja«, gab Shaun zu und wischte sich die Tränen ab.
»Warum hast du das nicht eher gesagt?«
»Weil ich dachte, sie käme zurück«, sagte er schluchzend. »Ich dachte, sie wollte mir einen Schreck einjagen. Ich wollte nicht, dass jemand erfuhr, was geschehen war. Vor allem nicht ihre Mutter.«
»Warum habt ihr gestritten?«, fragte Frank.
»Na ja«, sagte Shaun. »Katie fragte mich, ob mir so was schon mal passiert wäre, und ich sagte ihr, dass es mit den Mädchen, mit denen ich vorher geschlafen hatte, immer gut geklappt habe … Ich dachte, Katie hätte gewusst, dass es für mich nicht das erste Mal war. Aber sie war sauer, weil ich ihr nichts von den anderen Mädchen erzählt hatte. Ich sagte ihr, dass es keine Bedeutung mehr für mich habe. Und das stimmt auch. Aber Katie war sauer und ist abgehauen. Ich bin ihr hinterher, aber sie sagte, ich soll sie in Ruhe lassen.«
»Was genau hat sie gesagt?«, fragte Frank.
»Sie … sie hat gesagt: ›Lass mich allein. Du gibst mir das Gefühl, eine Versagerin zu sein.‹«
»Und was hast du darauf gesagt?«
»Ich habe gesagt …« Er schaute an die Decke. »Ich habe gesagt: ›Okay, dann lass ich dich allein.‹ Und das hab ich dann auch getan. Ich habe sie allein gelassen. Ich bin zurück ins Haus und hab die Teller abgewaschen. Und jetzt das«, sagte er mit bebender Stimme und brach wieder in Tränen aus.
Joe legte dem Jungen einen Arm um die Schultern, doch Shaun machte sich von ihm frei und ging ins Bad.
Joe schüttelte den Kopf.
»Er hätte nicht lügen dürfen«, sagte Frank.
Joes Kiefer waren verkrampft, und er hatte das Gefühl, in seinem Mund würden keine Zähne sitzen, sondern Stacheln. Seitdem Shauns Verhör begonnen hatte, knirschte Joe mit den Zähnen.
»Ich sehe mal nach ihm«, sagte Frank.
»Wissen Sie, meistens muss man gar
Weitere Kostenlose Bücher