Schattenwanderer
zu rechen, von einem Ort zurückzukehren, von dem es doch kein Zurück gab.
Bis zum Palast gelangte ich ohne weitere Abenteuer. In den letzten Stunden hatte es geregnet, in der Luft schwebte ein kaum wahrzunehmendes Aroma von Kühle, das jedoch drohte, von der sengenden Sonne vertrieben zu werden. Das klare Azur des Himmels, das es mit der Augenfarbe des Kobolds aufnehmen konnte, sprenkelte nicht eine einzige Wolke.
In der Inneren Stadt floss das Leben der Reichen ruhig dahin, ihnen setzten weder Hitze noch andere Unannehmlichkeiten zu. Die Häuser hier waren weiß und reich, Zuckerstückchen für alle, die gern in fremde Truhen greifen. Was einem jedoch als Erstes ins Auge sprang, war die Sauberkeit. Kein Dreck allenthalben, an den man sich im Hafenviertel unterdessen gewöhnt hatte. Selbst das Publikum wirkte gepflegt. Diese Leutchen stibitzten keine Börsen. Diese Leutchen stibitzten horrende Summen und klauten ausschließlich im ganz großen Stil. Meisterdiebe wie ich brachten ihr Lebtag nicht zusammen, was einer von ihrer Sorte da abschröpfte.
Einmal hielt mich die Wache der Inneren Stadt an. Wegen meiner Kleidung. Scherereien machten sie mir jedoch keine, sondern fragten nur, wohin ich wolle, und ließen von mir ab, sobald sie die Antwort hörten. Offenkundig hatte man sie von meinem Kommen bereits in Kenntnis gesetzt.
Der Königspalast mit seinen keineswegs der Zierde dienenden Mauern stellte eine kleine Festung innerhalb der großen Festung unserer Stadt dar. Jeder neue König aus dem Geschlecht der Stalkonen hielt es für seine Pflicht, den Palast zu erweitern, umzubauen oder zu verändern. Dadurch war der Bau übermäßig gewachsen, gleichzeitig jedoch das geblieben, was er von je her gewesen war: eine Festung.
Zunächst wollte ich durch eines der drei Tore für die Diener und Lieferanten gehen, dann besann ich mich jedoch eines Besseren: Wollte ich etwa verschämt durch eine entlegene Pforte hineinhuschen? Wo mich der König höchstselbst einbestellt hatte? Deshalb überquerte ich den Paradeplatz, eine einsame Figur auf der weiten Freifläche zwischen dem Palast und dem Rest der Stadt, und hielt selbstbewussten Schrittes auf das Haupttor zu.
Die Gardisten, die Wache standen, beobachteten mich neugierig. Bei ihnen handelte es sich ausnahmslos um Adlige. Der Dienst zum Schutz des Königs galt als besondere Ehre, vor allem für nachgeborene Söhne, die kein Land zu erwarten hatten. Hier dagegen bekamen sie die Gelegenheit, sich auszuzeichnen, eigenes Land zu erwerben …
… und sich zu langweilen.
»Der Herr begehren?«, fragte denn auch gleich einer der Gardisten, froh über die Ablenkung. Er trug eine Lanze mit langer schmaler Spitze. Diese Bewaffnung war kein Blendwerk und wahrlich nicht für Paraden gedacht. Vielmehr war es die Waffe eines Soldaten. Und nachdem Aufständische aus Adelskreisen der westlichen Provinzen einen Anschlag auf den Vater unseres heutigen Stalkon verübt hatten, weil sie seine Politik in den Strittigen Landen missbilligten, versuchte niemand mehr, die Gardisten zu einer anderen, einer repräsentableren Waffe zu überreden. Ebendiese Lanzen hatten König wie Königreich gerettet.
»Ich muss zum König«, antwortete ich, wohl wissend, was nun folgen würde.
Die Erziehung von Mylords Höflingen ist selbstredend tadellos – aber sich über einen Einfältigen lustig zu machen, das schätzt dennoch jeder von ihnen.
»Zum König?«, fragte mich der Gardist, der das Gespräch angeknüpft hatte. »Womöglich auf einen kleinen Pokal Rebensaft?« Er zwinkerte seinen Kameraden belustigt zu. »Das lob ich mir!«
»Und wen dürfen wir melden, Mylord?«, fragte ein zweiter Gardist und würdigte mich einer eleganten, wenn auch spöttischen Verbeugung. »Ihr seid vermutlich Marquis, genau wie ich? Oder Herzog? Und die Angelegenheit, mit der Ihr den König behelligen wollt, duldet gewiss keinerlei Aufschub?«
»Das ist doch kein Herzog, bester Wartek, das ist ein waschechter Baron, so wie ich auch!«, bemerkte ein hoch aufgeschossener Gardist, der sich so vor Lachen schüttelte, dass er beinahe seine Lanze hätte fallen lassen. »Beachtet nur einmal dieses superbe Veilchen in der schlichten Physiognomie, Marquis! Ein echter Baron!«
Die Gardisten wieherten erneut.
»Geh deines Weges, du Spaßvogel«, wandte sich Marquis Wartek schließlich an mich. »Der König empfängt dich heute ebensowenig wie an jedem anderen Tag.«
»Soll mir nur recht sein!« Ich zuckte gleichgültig die
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