Schattenwanderer
loszuwerden.
»Bei Sagoth!« For reckte die Arme zur Decke hoch. »Die neue Tür kommt erst morgen, jetzt müssen wir uns die Nacht ohne sie um die Ohren schlagen. Ist er fort?«
»Ja.« Ich lugte zum Zimmer hinaus und setzte mich anschließend mit einem erleichterten Seufzer auf einen Stuhl. Der Tag, wie überhaupt alle Tage dieser Woche, war schwer und ereignisreich gewesen. »Was wolltest du mir sagen?«
»Garrett, mein Junge«, setzte For an. »Deine Papiere sind verschwunden …«
»Welche Papiere?« Ich verstand nicht, wovon er sprach.
»Besagte.« For schwieg unheilvoll. »Als ich zurückkam, kramte gerade einer von diesen Kerlen in meinem Geheimversteck. Aber da waren die Papiere schon fort!«
»Keine Sorge, die habe ich an mich genommen«, beruhigte ich meinen Lehrer und klopfte gegen meine Tasche, die den Schatz aus dem alten Turm des Ordens barg. »Gestern Abend, als ich auf dich wartete.«
»Sagoth sei gepriesen«, stieß For inbrünstig aus. Dann sah er mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Und wie ist es dir gelungen, das Geheimfach zu öffnen?«
»Ganz einfach, wenn ich mich auch ungeschickter angestellt habe als deine ungebetenen Gäste.«
»Seit wann beschäftigt sich die Gilde der Mörder eigentlich mit Diebstahl?« For schüttelte den Kopf. »Und seit wann besitzt sie die Frechheit, Priester in der Tempelanlage zu überfallen?«
»Ich bin mir keineswegs sicher, dass es Mitglieder der Gilde waren. Mörder gehen nicht so vor. Abgesehen davon habt ihr mit der Gilde immer euer Auskommen gefunden, da wird Ugrez kaum auf die Idee kommen, euch seine Leute auf den Hals zu hetzen. Nein, da steckt jemand anders dahinter.«
»Schon wieder dein Herr?«, stichelte For, während er eine Flasche Wein besorgte. Wir wollten beide gern etwas trinken.
»Könnte sein. Dieser Herr taucht immer und überall auf und bleibt doch ein Rätsel.«
»Wie ist es denn gegangen?«
»Du meinst mein kleines Problem mit dem Pferd?«
»Richtig.« For nippte am Wein. Da alle seine Weinkelche während des Kampfes mit den unbekannten Mördern zu Bruch gegangen waren, hatte er den Saft der Götter in Bierkrügen kredenzen müssen.
Ich erzählte For, wie sich alles zugetragen hatte.
»Hmm. Ein interessanter Zug. Einfach alle Seiten gegeneinander aufzuhetzen. Klug zwar, aber nicht neu. Doch achte nicht auf mein Geschwätz. Nur schade, dass dein Bleichling entkam. Hat der Kerl eigentlich auch einen Namen?«
»Rolio.«
»Rolio, Rolio …« For schien sich den Namen förmlich auf der Zunge zergehen zu lassen. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört. Der Kerl ist mit Sicherheit nicht aus Awendum. Wovon habe ich gerade gesprochen? Ach ja! Diese Leutchen dienen auch dem Herrn. Wo immer du hinsiehst, entdeckst du seine Diener.«
»Also, Markun wird in Zukunft niemandem mehr dienen«, grinste ich.
Der fette Dieb, der in den Klauen von Wuchjazz gestorben war, tat mir wahrlich nicht leid.
»Ich will nur hoffen, dass seinen Platz in der Gilde ein Mann einnimmt, der sich als würdiger erweist, sodass sie wieder zu jener wird, die sie zu Zeiten meiner Jugend gewesen ist. Aber diesen Rolio bist du noch nicht los. Markun ist tot, doch den Auftrag zum Mord hat nicht er erteilt, sondern irgendein Diener des Herrn. Du solltest deinen Kopf also nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen.«
»Das werde ich nicht«, versicherte ich meinem Lehrer. »Im Übrigen bin ich gekommen, um mich zu verabschieden, ich muss zum König und dann aufbrechen.«
»Doch wohl nicht um fünf Uhr in der Früh! Da ist bei Hofe ohnehin noch niemand auf den Beinen! Schlaf besser eine Weile, Garrett, man könnte meinen, du hättest allen Boden Sialas gepflügt.«
Dem konnte ich kaum widersprechen. Ich hatte nicht das Geringste dagegen, mich auszustrecken – und zwar etwa hundert Jährchen. In der Zwischenzeit würde sich vielleicht auch diese unerfreuliche Geschichte mit dem Unaussprechlichen erledigt haben …
Selbstverständlich hatte sich am Morgen noch nichts zum Besseren gewendet. Der Unaussprechliche lauerte wie gehabt hinter den Nadeln des Frosts und sann auf Rache. Und ich musste mich auf eine Reise begeben, um an einem Ort, der Hunderte von Leagues entfernt lag, diese Zaubertröte zu beschaffen.
Der Abschied von For fiel wortkarg aus.
»Pass auf dich auf, mein Junge.« Das war alles, was er mir mit auf den Weg gab.
Ich hoffte sehr, den alten Priester nach meiner Rückkehr aus Hrad Spine wiederzusehen. Welch beispiellose Zuversicht – damit
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