Schattenwanderer
Aber ich habe nichts gespürt. Wenn Katers Wachsamkeit nicht gewesen wäre, hätte uns die Magie kalt von hinten erwischt.«
»Müssen wir jetzt in diesem Tempo weiterhetzen?«
»Bis Ranneng gewiss. Ein Kampf gegen einen unbekannten Gegner wäre zu gefährlich. In der Stadt gibt es jedoch Magier des Ordens, da werden die Schamanen nicht eindringen.«
»Verzeiht mir, Mylady, aber da muss ich widersprechen«, sagte ich. »Wenn die Schamanen sogar in den Königspalast eindringen konnten, dann werden die Mauern Rannengs sie gewiss nicht aufhalten.«
»Willst du damit andeuten, wir sollten Ranneng besser meiden?«
»Vielleicht will man uns ja auf diese Weise in die Stadt locken.«
»Wie kommst du darauf?« Sie sah mich neugierig an.
»Sagen wir es so: Es ist ein Gefühl.«
»Wie bei Kater?«
»Nein, im Unterschied zu Kater täusche ich mich zuweilen doch.«
Die schwarzen Lippen Miralissas zitterten in einem traurigen Lächeln.
»In drei Tagen werden wir in Ranneng sein. Bis zum Morgengrauen bleiben noch zwei Stunden. Schlaf ein wenig!«
»Ich werde nicht mehr einschlafen.«
»Und ich muss noch ein paar Zauber vorbereiten. Für alle Fälle. Ich spüre, dass wir auf Unannehmlichkeiten stoßen werden.«
»Ich glaube, ich will doch noch ein wenig schlafen«, log ich. »Gute Nacht.«
Ein kaum wahrnehmbares Nicken. Sie zeichnete bereits mit einem Stöckchen, das sie aufgenommen hatte, Figuren in die Asche. Da man wirklich besser nicht störte, wenn jemand einen Schamanenzauber vorbereitete, kehrte ich an meinen Schlafplatz zurück und zog die feuchte Decke zurecht. Gegen Morgen war es etwas frischer geworden, an den Grashalmen erschienen auch die ersten Saphire des Taus.
»Warum schläfst du nicht?«, wollte Ohm wissen, der gerade erst seine Runde beendet hatte. »Sogar die Pferde schlafen. Warum haust du dich nicht einfach aufs Ohr, du Grünschnabel? Ich an deiner Stelle würde jede Minute Schlaf auskosten!«
Leise brummend entfernte sich Ohm. Das Wilde Herz hatte ohne Zweifel recht. Ich musste die Minuten des Schlafs auskosten, sonst wäre mir noch der ganze Tag verleidet. Was immer mit Kater und Egrassa geschehen sein mochte – es war bereits geschehen, daran konnten wir jetzt nichts mehr ändern.
Kaum hatte ich mich auf meinem improvisierten Bett ausgestreckt, da sprang ich auch schon wieder hoch, wobei ich versuchte, einen Schrei zu unterdrücken. Irgendein Schuft hatte mir einen Dorn auf die Decke gelegt. Das heißt: nicht irgendein Schuft, sondern ein grüner. Nur Kli-Kli konnte das gewesen sein, während ich am Lagerfeuer gesessen hatte. Ich warf einen wütenden Blick auf den Narren, der jedoch noch immer den Schlaf der Gerechten schlief. Oder ein vorzüglicher Schauspieler war.
Den Buckligen biegt erst das Grab gerade. Kli-Kli würde ich nicht mehr ändern. Ich warf den Dorn also möglichst weit weg und legte mich wieder hin. In diesem Augenblick wäre ich beinahe in ein Lachen ausgebrochen. Es gab da jemanden, dem es noch schlechter erging als mir, selbst wenn er das nicht ahnte. Bisher jedenfalls nicht. Schandmaul schlief noch immer mit offenem Mund – aus dem nun aber ein Stängel Löwenzahn herauslugte.
Das Letzte, was ich sah, bevor ich einschlief, war Miralissa, die neben dem Feuer hockte und mit dem Stöckchen etwas in die Asche zeichnete.
Kapitel 23
Markstein
Der nächste Morgen begann mit viel Tumult. Warum? Natürlich wegen Kli-Kli. Miralissa erwischte den Kobold, wie er gerade – Punkt, Punkt, Komma, Strich – ein Mondgesicht neben die magischen Zeichen der Elfin in die Asche malte. Selbstverständlich hätte sie ihm beinahe die Hand für dieses Kunstwerk abgerissen. Den ganzen Vormittag schon versuchte sich der Kobold so weit wie möglich von Miralissa fernzuhalten.
»Garrett!«, jammerte er schuldbewusst, da er keinen geneigteren Zuhörer in unserer kleinen Gruppe fand. »Ich wollte doch wirklich nichts Schlimmes anrichten! Ich dachte, das sind einfach irgendwelche Elfenkritzeleien, mehr nicht.«
»Warum erzählst du mir das, Kli-Kli?«, fragte ich erstaunt. »Geh zu Miralissa und mach ihr das klar!«
»Aber du bist mein Freund und musst wissen, wie ungerecht die Welt gegenüber Kobolden ist!«
»Dein Freund?«, höhnte ich. »Einem Freund packt man keinen Dorn ins Bett!«
»Aber das ist besser als ein Löwenzahn im Mund.« Kli-Kli dachte gar nicht daran, irgendetwas abzustreiten. »Bis jetzt spuckt Schandmaul noch rum.«
»Hör auf, den Narren zu spielen, Kobold!«
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