Schattenwanderer
vielleicht oder aus Wut. Nichts zehrt so an einem wie Warterei, das wusste ich aus eigener Erfahrung. Die Geduld geht zur Neige, hält die Folter durch die Zeit nicht mehr aus. In solchen Augenblicken will man schreien, nur um eine Beschäftigung zu haben.
Einmal kamen wir an einem Waldbach vorbei. Aus den hohen Brennnesseln schoss ein wahnwitziger Hase, Marmottes Pferd direkt vor die Hufe. Das Pferd scheute und hätte Marmotte beinahe abgeworfen. Glücklicherweise konnte er sich jedoch im Sattel halten und landete nicht in den Nesseln, die sich bereits auf ihre Beute gefreut hatten. Ich an Marmottes Stelle wäre mit Sicherheit in dem brennenden Grün gelandet.
Der Schuldige an diesem kleinen Zwischenfall wollte sich in dem Wald auf der anderen Seite des Weges in Sicherheit bringen, wurde jedoch von einem Pfeil Ells zur Strecke gebracht. Der arme Hase schrie auf wie ein Kind, überschlug sich und tat seinen letzten Atemzug.
»Was haben wir denn da?!« Schandmaul beugte sich tief auf dem Pferd hinunter und hob den kleinen grauen Körper an den langen Hinterläufen auf. »Wenigstens wird uns das Abendessen mal Abwechslung bringen!«
»Auf dem Hügel da vorn machen wir Rast«, befahl Miralissa, nachdem sie sich zum wahrscheinlich hundertsten Mal am heutigen Tage umgesehen hatte.
»Sehr schön«, begrüßte Ohm den Vorschlag der Elfin. »Die Jungs müssen mal aus dem Sattel. Es ist bald Abend, und wir sind schon den ganzen Tag unterwegs.«
Ohm hatte recht. Mein Rücken schmerzte gotterbärmlich. Ich wollte unbedingt von Bienchen runter und mich im Gras ausstrecken. Mich recken, bis es angenehm in der Wirbelsäule knackte, damit mein Rücken mit freudigem Schmerz darauf antwortete und bis zum nächsten Morgen Ruhe gab.
»Garrett«, riss mich Lämpler aus meinen Träumen. »Was meinst du, kann uns Mylord Alistan noch einholen?«
»Ich weiß es nicht, Mumr«, antwortete ich müde. »Es ist ja noch nicht Abend.«
»Ich hoffe, Miralissa wird so klug sein, nicht noch jemanden auf diese zweifelhaften Spähritte auszuschicken.«
Das hoffte ich auch. Wenn noch jemand unsere Gruppe verließe, wären wir nur noch lächerlich wenige. Unsere Gemeinschaft musste jedoch so lange wie möglich zusammenbleiben.
Der Weg stieg wieder an, der Wald blieb widerwillig zurück, da der Hügel zu hoch für ihn war, und die Zeit, nach seinem Gipfel zu greifen, noch nicht gekommen schien.
»Rast!« Schandmaul sprang jählings aus dem Sattel.
»Das kann nicht sein!«, stieß Miralissa entsetzt aus. »Sitz sofort wieder auf!«
Ich folgte ihrem Blick. Gut eine League vor uns stiegen dicke Rauchsäulen aus dem Wald auf. Da brannte ein gewaltiges Feuer.
»Was ist das?«, fragte Ohm mit zusammengekniffenen Augen.
»Wenn ich mich nicht täusche, liegt dort Markstein, ein kleines Dorf mit vierzig oder fünfundvierzig Höfen«, antwortete Met.
Er kannte die Gegend gut, denn er war hier geboren. In einem anderen kleinen und gottverlassenen Dorf, weitab von den großen Straßen und den königlichen Zinseintreibern, die sich alle fünf Jahre an diese Dörfer erinnerten – aber zu faul waren, sie aufzusuchen.
»Was mag da brennen?« Ohne dass Deler es merkte, griff er nach seiner Streitaxt.
»Bestimmt keine Häuser, dafür ist der Rauch zu schwarz. Als würde Kohle brennen.« Hallas nahm wütend einen Zug aus seiner Pfeife.
»Sollen wir es überprüfen?« Ohm blickte Miralissa fragend an.
»Ja.« Sie nickte unentschlossen. »Dieser Weg führt sowieso durch das Dorf, wir könnten es nur meiden, wenn wir durch den Wald ritten.«
»He! Jungs! Legt die Panzer an, wir sehen uns mal an, was das für ein Feuerchen ist!«, befahl Ohm.
»Bei der Gelegenheit können wir auch gleich herauskriegen, welches Schwein es gelegt hat!«, knurrte Lämpler.
Sobald die Soldaten eine Abwechslung von der ermüdenden und eintönigen Reiterei bekamen, wurden sie munter. Alles war besser als mehrere Tage dahinzureiten, ohne zu wissen, wo der Feind lauerte oder in welches Tier du deine Klinge bohren solltest, um deine finstere Stimmung wenigstens etwas aufzuhellen. Ich verstand die Wilden Herzen gut: Tatenlosigkeit war für Soldaten die schlimmste Form der Folter.
»Brauchst du noch eine Einladung, Garrett?« Der Kobold ritt auf Fieder an mich heran. »Wo ist dein Kettenhemd?«
»Welches Kettenhemd?«
»Das, was wir beide für dich besorgt haben!«, antwortete Kli-Kli erbost.
»Ich habe nicht die Absicht, mir dieses Eisending überzuziehen!«, erklärte ich
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