Schattenwanderer
Mauern der finsteren Häuser und rannte in Richtung des Platzes, wo der Turm des Ordens stand.
Intuitiv spürte ich, wie mir die Zeit zwischen den Fingern zerrann. Eine Stunde, nein, weniger noch, dann würde der Horizont im grellen Schein der sommerlichen Morgendämmerung lodern, welcher der Tag folgte. Der würde in diesem Fall den Tod für alles Leben bedeuten, das sich zu diesem Zeitpunkt im Geschlossenen Viertel aufhielt. Ich lief noch schneller, schlüpfte in die Schatten, verschmolz mit ihnen zu einem Ganzen, tanzte zusammen mit den grauen Flecken zu einer Musik, die nur mir hörbar war. Die Schatten trugen mich weiter und weiter, dorthin, wo die schmale Straße sich verbreiterte und in den kleinen Platz überging.
Ich merkte nicht einmal, wie ich das Ende der Straße der Magier erreichte, sondern blieb einfach stehen, in den Umhang aus Schatten gehüllt, den ein dachloses einstöckiges Haus warf. Mir gegenüber stand ein weiteres Haus, der letzte Unterpfand menschlichen Lebens vor dem leeren Platz. Obwohl: so stimmte das nicht. Der Platz war nicht leer. Als stummer Vorwurf, als entsetzlicher Stumpf erhob sich der alte Turm des Ordens. Der Kronk-a-Mor hatte ihn nicht geschont, von der einstigen Größe und Pracht des Baus zeugte nichts mehr.
Semmel, Semmel! Was hast du nur angerichtet! , stöhnte Walder.
O ja, hier hatte es eine Katastrophe gegeben. Ich beneidete diejenigen nicht, die in der Nähe gewesen waren, als die unbezähmbaren Gewalten tosten. Auf dem blanken, von den Skeletten der Häuser umgebenen Platz schimmerte kein einziger Stein im Licht des untergehenden Mondes. Dabei mussten bei der Explosion Teile des Turms über den ganzen Platz geschleudert worden sein. Sie waren nun nicht mehr da.
»Wie lange willst du hier noch rumstehen? Die Zeit läuft uns davon!« Die Stimme, die aus dem dichten Dunkel des Hauses gegenüber kam, zwang mich, mich von den traurigen Gedanken loszureißen und ins Dunkel zu spähen.
Die Stimme gehörte fraglos einem lebenden Menschen, nicht irgendeinem Gespenst.
»Keine Sorge, Ssnapper. Oder willsst du wie der alte Rostgiss enden?«, erklang darauf eine fiepende, widerwärtige Stimme.
»Keine Sorge, Ssnapper, keine Sorge, Ssnapper«, äffte der Erste den Zweiten nach. »Rostgish hat sich das selbst zuzuschreiben! Hätte er nicht losgeschrien, der Zombie hätte ihn gar nicht bemerkt! Also, worauf warten wir noch?! Schnappen wir uns die Pläne und hauen ab!«
»Die Tsombies hätten ihn sowieso angegriffen! Rostgiss hat in der letsten Tseit viel tsu viel gesoffen!«, schnaubte der Zweite. »Was sstellst du dir überhaupt vor, wie wir in diesen ssrecklichen Turm kommen? Willst du ihn sstürmen? Wir sind nicht die sswere Kavallerie Seiner Hoheit! Ohne Plan übersstehen wir das nicht mit heiler Haut.«
»Du denkst zu viel, Nachtigall!«, fuhr Snapper ihn an. »Der Tag ist im Anmarsch! Wir müssen hier raus!«
»Halt die Ssnautse!«, brüllte Nachtigall.
So, so. Diese Namen kannte ich. Die beiden Meisterdiebe Snapper und Nachtigall, die für die Gilde arbeiteten – und damit für die Nappsülze Markun. Wahre Könner. Gewiss, sie gingen nicht gerade zimperlich vor, und Leichen pflasterten stets ihren Weg. Obwohl Nachtigall ein unscheinbarer laufender Meter war, besaß er den Verstand von hundert Königen. Snapper, ein kräftiger Kerl, wirkte auf seine Umgebung ungeschlacht und tumb. Doch viele, die diesen Eindruck gehabt hatten, schwammen jetzt mit einem Messer im Rücken unter den Piers.
Und auch Rostgish kannte ich, möge er im Licht weilen. Der Bursche war vor zwei Jahren in Awendum aufgetaucht und hatte sich diesem Pärchen angeschlossen. Auch er fackelte nie lange, war ein guter Dieb, wenn auch kein Meisterdieb, dafür trank er zu viel, weshalb seine Reaktionen zu wünschen übrig ließen. Genau deshalb war er auch als Abendbrot eines Zombies geendet. Denn es waren seine Knochen, auf die ich in der Schlafenden Katze gestoßen war.
Mit Snapper oder Rostgish hatte ich nie etwas zu schaffen gehabt, wir konnten einander nicht leiden, gelinde gesagt. Was zum Dunkel hatten sie im Verbotenen Viertel verloren?
»Hasst du die Karte?«, fragte Nachtigall.
Sein lautes Gezischel tat mir in den Ohren weh. Offenbar hielten es die beiden nicht länger für nötig, sich zu tarnen, und lärmten über die ganze Straße. War denen etwa niemand über den Weg gelaufen, von den Zombies mal abgesehen? Waren alle Überraschungen allein mir vorbehalten geblieben?
»Die aus der
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