Schattenwanderer
Königlichen Bibliothek? Ja, die habe ich. Leuchte mal!«
»Womit denn, bitte ssön?«, brummte Nachtigall wütend. »Die ›Feuer‹ sind bei Rostgiss! Die fressen jetst die Tsombies! Sag mal, wotsu wollen wir überhaupt in den Turm?«
Aha! Von denen hatte der alte Bolzen also gesprochen. Genauso unauffällig, und viele Worte haben sie auch nicht gemacht. Bestimmt waren es Snapper und Rostgish gewesen, die der Bibliothek einen Besuch abgestattet und Bolzen jenen hübschen kleinen Ring unter die Nase gehalten hatten, denn an Nachtigall hätte sich der Alte mit Sicherheit erinnert. Ich musste also auf alle Fälle noch einmal in die Bibliothek und ernsthaft mit ihm reden!
»Wir müssen die verdammten Karten holen oder was immer da sonst ist, bevor diese Missgeburt das tut!«
»Warum so nervös?« Nachtigall war wie immer die Ruhe selbst. »Garrett taucht hier so ssnell nicht auf. Der hat sowieso die Hosen voll. Und fallss doch, hat unser Auftraggeber ein paar Soldaten von der Stadtwache gedungen, ihm dass Licht austsublasen.«
»Womit sie allen einen Gefallen täten. Markun kocht schon, wenn er den Namen Garrett nur hört. Und auch unser Auftraggeber hat befohlen, ihn zu töten. Und der Herr, dem wir alle, unser Auftraggeber, du und ich, dienen, wird langsam unzufrieden.«
Garrett? Über welchen Garrett sprach Snapper da wohl? Doch mit Sicherheit nicht über mich! Das Wörtchen »Missgeburt« passte schließlich gar nicht zu mir! Aber was weit aufschlussreicher war: Der mysteriöse Ringbesitzer hatte also nicht nur Diebe angeheuert, sondern auch die Soldaten der Stadtwache gedungen, mit dem inzwischen toten Justin an der Spitze. In-ter-es-sant! Gespannt hörte ich weiter zu.
»Tsu töten?«, kicherte Nachtigall gemein. »Hasst du eigentlich den letsten Funken Versstand verloren? Dieser Bursse sieht tswar klapprig und verhungert aus, aber Rolio tickt nicht mehr richtig, sich mit Garrett antsulegen. Wir erfüllen den Kontrakt, sstecken den Tsasster ein und vertsiehen uns in wärmere Gefilde. Tsum Beisspiel ins Hinterbergland. Da findet uns niemand.«
»Glaubst du wirklich, du entkommst dem Herrn so einfach?«, erklang da eine spöttische Stimme, die mich zusammenfahren ließ.
Diese Stimme hätte ich unter Tausenden erkannt. Sie hatte sich sehr verändert, das Tote und Leblose war fast gänzlich daraus verschwunden. Trotzdem erkannte ich sie. Es war das Geschöpf, das mit Herzog Pathy gesprochen und ihn dann ermordet hatte. Jenes Wesen der Nacht, das von mir einen Bolzen in den Rücken bekommen, sich aber in keiner Weise darum geschert hatte.
»Schlag dir jeden Gedanken an Flucht aus dem Kopf! Du entkommst nur dann, wenn er dich gehen lässt, Menschlein. Aber …« Die Stimme zögerte, bevor das Monster spöttisch fragte: »Aber du bist dem Herrn doch treu, oder?«
»Ich bin ihm treu.« Nachtigalls Stimme klang verängstigt. »Wir sind ihm treu.«
»Ja, bestimmt, Euer Gnaden, wir sind dem Herrn treu«, beteuerte auch Snapper.
Aus der Dunkelheit vernahm ich ein leises, zufriedenes Lachen, und kurz meinte ich die goldenen Augen zu sehen.
»Kluuuge Menschlein«, höhnte das Geschöpf. »Warum habt ihr dann immer noch nicht die Karten von Hrad Spine geholt? Habt ihr euch verlaufen, meine Kleinen?«
Zum Glück sah ich im Dunkel des eingefallenen Hauses weder das Geschöpf noch die Diebe. Ich hörte sie nur. Und ich hoffte inständig, auch sie möchten meine bescheidene Person nicht sehen. Ich war mir völlig sicher, dass die Menschen mich nicht bemerkt hatten, aber dieser Sendbote … er bräuchte nur einmal in meine Richtung zu schauen … Was dann geschehen würde, malte ich mir lieber nicht aus.
»Aber nein, Euer Gnaden, was glaubt Ihr denn! Wir warten nur. Wir warten auf eine günstige Gelegenheit.« Die Worte entrangen sich Snappers Kehle mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. »Wir wollten gerade in den Turm.«
»Ja, wir sind sson unterwegs, jawoll. Dass müsst Ihr uns glauben!«
»Besorgt die Karten und vernichtet sie, danach könnt ihr gehen, wohin ihr wollt.« In der Stimme des Sendboten lag unverhohlene Verachtung.
»A-aber, Euer Gnaden«, stammelte Snapper, »unser Auftraggeber hat befohlen, ihm die Papiere zu übergeben. Da können wir sie doch nicht einfach …«
Snapper brach mitten im Satz ab und röchelte. Sein Kompagnon japste verängstigt auf.
»Der Herr ist es nicht gewohnt, dass ihm nicht gehorcht wird. Er braucht Diener, die gehorchen! Wer eine elementare Aufgabe nicht löst, ist
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