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Schattenwandler 02. Gideon

Schattenwandler 02. Gideon

Titel: Schattenwandler 02. Gideon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacquelyn Frank
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nichts, was mit dem Schrei vergleichbar wäre, den ein Kind in so einem Moment ausstößt. Es gab keine Möglichkeit, dem Kind zu erklären, dass auch ein Heiler seine Grenzen hatte. Keine Möglichkeit, zu erklären, warum die schöne und geliebte Mutter so enden musste. Er war damals siebenhundert Jahre alt gewesen, und er hatte es sich nicht einmal selbst erklären können. Und dass dieses Kind, Legna, ihn ausgerechnet in diesem Augenblick das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte, das hatte ihn die nächsten zweihundertfünfzig Jahre lang verfolgt. Deswegen hatte er sich von ihr ferngehalten, obwohl sie schon immer zusammengehört hatten. Noch viele Jahrzehnte lang hatte er jedes Mal dieses Kind in ihr gesehen, wenn sie sich begegnet waren.
    Gideon hob sein Gesicht zum Himmel, und Tränen der Qual brannten in seinen Augen, während er um ein Wunder betete, von dem er selbst nicht wusste, wie es aussehen sollte. Er wusste nur, dass er es nicht überleben würde, wenn sie aufhörte, ihn zu lieben. Weil sie ihm zu Recht vorwarf, dass er nicht in der Lage gewesen war, das Leben ihrer Mutter zu retten. Weil er den Raum nicht verschlossen hatte, um ihren jungen Augen diesen Anblick zu ersparen. Bei dem bloßen Gedanke daran blieb ihm fast das Herz stehen. Er hörte, wie sie anfing zu weinen, aber er brachte es nicht über sich, sie anzusehen. Er spürte, wie ihre Tränen ihm das Herz zerrissen. Als sie plötzlich über ihm war und die Arme um seinen Hals legte, überraschte ihn das nicht. Er wehrte sich nicht. Dazu hatte er kein Recht.
    Er brauchte fast eine Minute, um zu begreifen, dass sie ihn umarmte und dass sie ihn nicht erwürgen wollte. Benommen von dem unbegreiflichen Schock, griff er nach dem kleine Fünkchen Hoffnung und wagte es, eine Hand auf ihren Rücken zu legen. In diesem Moment erkannte er, dass er gedacht hatte, er würde sie nie wieder berühren dürfen, und so war es wie ein Wunder für ihn.
    „Legna“, flüsterte er heiser. „Es tut mir so leid.“
    Sie sagte nichts, sie schluchzte, als würde es ihr das Herz brechen. Er ließ sie gewähren, er dachte nur, dass sie bis zum nächsten Samhain weinen sollte, wenn ihr danach zumute war. Er würde sie nicht davon abhalten. Dieser Moment hatte irgendwann kommen müssen, und sie hatte ein Recht darauf, zu trauern.
    Noah hatte nicht nur mit der Last leben müssen, dass seine Mutter ermordet worden war, sondern auch mit der Verantwortung, seine Schwester nach der Abberufung ihres Vaters großziehen zu müssen. Und mit dem Wissen, dass er für seine Schwester eine Entscheidung getroffen hatte, die rückgängig zu machen er nie den Mut gefunden hatte. Er hatte sich immer gefürchtet vor diesem Moment, genauso wie Gideon.
    Gideon wollte ihr tausend Fragen stellen, aber das stand ihm nicht zu, und deswegen tat er es nicht. Er nahm sie in die Arme und beruhigte sie so gut er konnte mit seiner Anwesenheit und mit der Wärme seiner Berührung. Behutsam strich er ihr das Haar aus dem tränenüberströmten, geröteten Gesicht und strich es ihr immer wieder zärtlich hinter das Ohr. Sie hatte ihr Gesicht an seine Schulter geschmiegt, ihre Tränen durchnässten sein Hemd, und sie schluchzte aus tiefster Seele, sodass es klang wie die schmerzerfüllten Schreie eines kleinen Tieres.
    Es dauerte fast eine Stunde, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte und nur noch ein gelegentliches Beben durch ihren Körper lief. Dann fiel sie erschöpft in Schlaf. Gideon blieb regungslos liegen und ließ sie ruhen, ohne darauf zu achten, ob er selbst bequem lag. Nichts tat ihm wohler, als ihre Arme um sich zu spüren, selbst wenn sie schlief.
    Nach einer Weile gab sie einen kleinen Laut von sich und zuckte, als sie erwachte. Sie hob den Kopf und suchte seinen Blick. Er sah sie dankbar an und versuchte nicht, seine Unsicherheit zu verbergen. Sie berührte sein Gesicht und biss sich auf die Unterlippe, während sie mit den Fingern ein seltsames Muster auf seine Haut zeichnete.
    „Du hast geweint“, bemerkte sie schließlich mit heiserer Stimme.
    Er verstand sofort, dass sie nicht über das Hier und Jetzt sprach, sondern über jenen tragischen Tag, der so weit zurücklag.
    „Ja, Liebste“, erwiderte er nur.
    „Warum hast du um meine Mutter geweint?“
    „Weil niemand so sterben sollte“, sagte er. „Weil ich trotz meiner Fähigkeiten nichts für sie tun konnte. Ich bin ihr Siddah gewesen, genauso wie für deinen Bruder, und es war ein furchtbarer Gedanke für mich, dass ich nicht

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