Schattenwandler 02. Gideon
Frau umzugehen. Schließlich war er kein Geistdämon. Ihm war klar, dass er sich damals erbärmlich verhalten hatte, aber er war immer ratlos gewesen, wie er den Schaden wiedergutmachen sollte. Deswegen hatte er darauf gehofft, dass es mit der Zeit verblassen und dass alles wieder seinen normalen Gang gehen würde. Doch es war ein Fehler gewesen, das zu glauben, und dieser Tatsache ins Auge zu sehen schmerzte ihn fast genauso heftig wie das, was er arroganterweise während des Kriegs gegen die Druiden getan hatte. Damals hatte er schwerwiegende Fehler begangen, und jetzt war es wieder geschehen. Man hätte meinen können, dass man in tausend Jahren lernen konnte, solche Fehler zu vermeiden, aber offenbar war das nicht der Fall.
Gideon trat näher an Legna heran, und sie spürte seinen Körper an ihrem Rücken. Es faszinierte sie immer wieder, dass der urälteste Dämon fast so viel Hitze ausstrahlte wie ein Mensch, obwohl die Körpertemperatur von Dämonen um fünf Grad unter der von Sterblichen lag. Trotzdem spürte sie ihn sehr intensiv, und das verunsicherte sie noch mehr.
„Ich wünsche, dass du gehst“, sagte sie entschieden und wandte ihren Blick nicht von dem kunstvoll angelegten Garten vor dem Fenster ab. Der Morgen war angebrochen, sie hätte längst im Bett sein sollen, sich auf den Tag einstellen, sich langsam entspannen und in Träume hinüberdämmern, die nichts zu tun hatten mit Tränen voller Schmerz und Erniedrigung.
„Ich werde nicht gehen, Magdelegna.“
Sie zuckte innerlich zusammen, sie wünschte, er würde damit aufhören, sie bei ihrem vollen Namen zu nennen. Es erinnerte sie zu sehr an den unwiderstehlichen Klang seiner Stimme, mit der er sie vor all den Jahren angelockt hatte.
„Gut“, erwiderte sie bitter, „du kannst gern bleiben.“
Sie hob die Hand, um mit einer eleganten Bewegung ihre Teleportation einzuleiten. Doch schon hatte der Heiler sie fest am Handgelenk gepackt. Wütend starrte Legna auf die schlanken Finger, die sie unerbittlich umfasst hielten, dann hob sie den Blick, um dem Urältesten ins Gesicht zu sehen.
„Du willst wieder einmal deinen Kopf durchsetzen ohne die geringste Rücksicht auf meine Gefühle, Gideon“, warf sie ihm in scharfem Ton vor. „Du bist grausam und unsensibel. Du hast keinen Grund, mich festzuhalten, und ich habe keine Lust auf deine Gesellschaft. Verschwinde“, drohte sie kalt, „oder ich rufe meinen Bruder und die Vollstrecker, damit die dich wegschaffen.“
„Deine Vermutungen sind unzutreffend, Legna. Ich habe sehr gute Gründe, dich festzuhalten.“ Der Urälteste lockerte seinen Griff um ihr Handgelenk ein wenig, sodass sie den Arm sinken lassen konnte. Aber er ließ sie nicht los. Und Legna wusste, dass er sofort wieder fester zufassen konnte, wenn sie versuchen sollte, sich zu befreien. „Gründe, von denen ich annehme, dass du sie nicht jedem erzählen möchtest, auch nicht deinen Freunden, den Vollstreckern.“
„Das ist absoluter Unsinn“, schnaubte Legna. „Ich habe nichts zu verbergen.“
„Ach nein?“ Warnend hob er eine silberne Braue und gab Legna kaum Gelegenheit, vor ihm zurückzuweichen und sich so weit sie konnte in den steinernen Fensterrahmen hinter ihr zu drücken. Der Dämon folgte ihr gelassen, und sein Körper berührte sie fast. „Legna“, murmelte er sanft an ihrem Ohr. Sein Atem strich über ihren Hals, und ein Schauder durchlief sie. „Ich sehe, was du vor uns zu verbergen suchst. Ich sehe die Kraft in dir, von der du uns weismachen willst, dass du sie nicht hast. Ich sehe Dinge, die du wahrscheinlich nicht einmal selbst von dir weißt. In dieser kurzen Dekade hast du dich sehr verändert, und trotzdem weigerst du dich, deine Fähigkeiten vollständig einzusetzen. Vielleicht“, fuhr er flüsternd fort und schob abwesend ihr Haar hinter das Ohr an seinen Lippen, „möchte dein Bruder wissen, warum sich seine Schwester so verhält. Ich weiß, dass ich ziemlich neugierig bin.“
„Habe ich dir schon einmal gesagt, wie sehr ich dich verachte?“, zischte Legna und versuchte, die eigenartige Hitze in ihrem Körper nicht zu beachten, die seine Berührung auf ihrer Haut auslöste. „Wenn du Informationen sammeln möchtest, dann engagier einen Detektiv.“
„Ich habe es immer vorgezogen, meine Informationen von der Quelle selbst zu beziehen“, erwiderte er, und sein Blick glitt erneut über ihren Körper. Es verunsicherte sie immer, wenn er das tat, obwohl sie wusste, dass es nichts anderes war
Weitere Kostenlose Bücher