Schattenwandler 02. Gideon
seine Augen schwarz färbte.
Gideon legte ihr die Hand auf die Stirn und drang mit seinen Sinnen über ihre kalte Haut und über ihre graue Gesichtsfarbe hinweg tief in ihren Körper ein. Sofort wurde er von dem Aufruhr in ihrem Inneren erfüllt. Die natürlichen Abwehrkräfte und die Selbstheilungskräfte, die in ihr schon aktiv waren, führten ihn zu ihren Wunden. Aber auch wenn Schattenwandler sehr schnell wieder gesundeten, so konnten sie ein Trauma wie dieses doch nicht ohne Hilfe von außen beheben. Ganz offensichtlich hatte jemand die kleine Vollstreckerin angegriffen. Sie hatte Blutergüsse am ganzen Körper, als hätte ein wildes Tier sie im Maul gehabt und herumgeschleudert wie eine Puppe. Sie hatte Spuren von Elektroschocks am Körper, und wo sie getroffen worden war, konnte man die Verbrennungen sehen. Der Gestank ihres versengten Fleisches hing im Raum, vermischt mit dem metallischen Geruch von Blut.
Isabella hatte sich trotz ihrer Schwangerschaft ganz offensichtlich heftig gewehrt. Sie hatte schlimme Abwehrverletzungen an Händen und Armen, und der Raum um sie herum war in dem Kampf zerstört worden. Falls ein Nekromant oder ein ähnliches Wesen verantwortlich dafür war, dann stellte sich die Frage, wie der Angreifer es geschafft hatte, ihre Fähigkeiten zu umgehen, jemandem die Energie zu entziehen?
Doch die Antwort konnte warten. Gideon konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Das meiste Blut stammte von dem Fötus, den Isabella austrug, oder besser gesagt, von der Plazenta, die das winzige Wesen in ihr ernährte. Da sie in einer Lache des kostbaren Saftes lag, konnte Gideon besser von innen her feststellen, woher der Blutverlust kam, als durch eine äußere Untersuchung. Es war schlimm, und es wurde immer schlimmer. Er konnte den Schaden beheben, aber das Blut konnte er ohne Hilfe nicht ersetzen.
„Jacob“, sagte er sanft und richtete seine Aufmerksamkeit sowohl auf den Beginn der Heilung als auch darauf, den Vollstrecker über die notwendigen Maßnahmen in Kenntnis zu setzten, „sie braucht unbedingt Blut.“
„Gib ihr meins“, antwortete er sofort und streckte dem Heiler seinen Arm hin.
„Nein. Du bist ein Dämon, Jacob. Eure Blutgruppen passen nicht zusammen. Und schon gar nicht, wo sie zum Teil menschlich ist.“
„Wir alle hier sind Dämonen, Gideon. Wer soll ihr Blut spenden, wenn nicht ihr Ehemann?“
Gideon sah auf, begegnete Jacobs verzweifeltem Blick und spürte die Angst, die dieser fühlte.
„Ihre Schwester, Jacob. Corrine ist der einzige weitere Hybrid unter uns und zum Glück mit ihr verwandt. Das reicht aus. Falls sie trotzdem nicht ganz zusammenpassen, kann ich das ausgleichen. Aber wir müssen uns beeilen, sonst verlieren wir sie und das Baby.“
„Du wirst sie nicht verlieren!“, brüllte Jacob plötzlich voller Wut und Angst und sprang auf. Zornig ballte er die Fäuste. „Hast du verstanden, Heiler?“, fuhr er heiser fort, während er am ganzen Körper bebte. „Wenn sie stirb t … “ Der Vollstrecker konnte den Gedanken offensichtlich nicht zu Ende denken. Er fiel wieder auf die Knie, sein Schmerz war offenbar so groß, dass er die Kontrolle zu verlieren drohte.
Genau in dem Moment kam Legna zu sich, schnappte nach Luft und setzte sich mit einem Ruck kerzengerade auf. Jacobs Emotionen hatten ihren ungeschützten Geist bombardiert und sie geweckt wie ein Stromschlag. Sie rang nach Atem, schnappte keuchend nach Luft, Tränen quollen hervor, und ein gequälter Schluchzer entrang sich ihrer Brust, genau wie bei Jacob. Legna hatte noch nie einen so alles verzehrenden Schmerz durchlebt. Es war, als würde ihr die Seele aus dem Leib gerissen, als würde ihr Geist vor ihren Augen einen entsetzlichen Tod sterben und sie könnte nichts dagegen tun. Selbst die Qual während der Abberufung war nicht zu vergleichen mit diesem grauenvollen Gefühl.
Dann spürte sie eine sanfte Berührung in ihrem Bewusstsei n – lindernd und heilsam. Sie hob den Blick zu Gideon, ihre Augen schwammen in Tränen, die funkelnd in ihren Wimpern hingen. Sein Blick war stark, ruhig und strahlte sein Vertrauen in sie aus. Es war der Halt, den sie brauchte, um sich gegen Jacobs unbeabsichtigten Angriff auf ihren Geist zu schützen.
Gideon ließ ihr einen Moment lang Zeit, damit sie ihre Gedanken ordnen und unter Kontrolle bekommen konnte. Der schmerzerfüllte Ausdruck verschwand aus ihren Augen, und ihr Blick wurde ruhig. Mit unglaublicher Kraft hatten sich ihre Schutzschilde aufgerichtet. An
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