Schattenwandler 02. Gideon
zu erkennen, dass sie trotz ihrer naturgegebenen Sexualität lieber im Höllenfeuer schmoren wollte. „Es ist ausgesprochen unfair“, meinte sie, „dass ich von dieser veralteten und überflüssigen genetischen Veranlagung geplagt bin, mir nur einen einzigen Gefährten für das ganze Leben wählen zu können.“ Sie stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Stell dir bloß einmal vor, was für einen Spaß ich haben könnte.“ Dann wurde sie auf einmal ganz ernst und sprach zu Gideon, als wäre er wieder ihr Vertrauter wie so viele Jahre zuvor. „Ich brauche keinen König an meiner Seite, und deswegen brauche ich auch keinen Liebhaber, der vielleicht später König wird. Deshalb bleibe ich wahrscheinlich Jungfrau bis ans Ende meiner Tage.“
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor“, meinte er.
„Ja, ich weiß. Und jetzt hast du doch eine Gefährtin.“ Sie legte den Kopf schräg und sog mit offensichtlicher Neugier seinen Duft ein. „Du hast großes Glück, Gideon“, stellte sie aufrichtig überrascht und erfreut fest. „Du bist auf deine Gefährtin geprägt und sie auf dich. Das ist ein seltenes Phänomen bei euch, soviel ich weiß. Ich wünsche euch alles Gute.“
„Danke“, entgegnete er liebenswürdig.
„Aber wenn du die Kleine endlich mal flachlegen würdest, wäre sie vielleicht nicht mehr so eifersüchtig auf mich.“
Gideon konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als Siena ihm zuzwinkerte, während Legna in seinem Kopf einen Wutschrei ausstieß.
„Siena, ich bin nicht hergekommen, damit ich es mir nachher auf der Couch bequem machen kann. Hab bitte Mitleid mit mir.“
„Wie du wünschst. Also sag mir, warum du hier bist“, bat sie, während die beiden einen Raum voller gewaltiger Goldfontänen betraten.
Um diese Fontänen war ein Wasserbecken angelegt, in dem sich alle Arten von Lykanthropen tummelten. Die Wesen hatten teilweise einen Pelz, manche waren in der Mauser, oder sie waren nackt, und sie badeten in dem riesigen Pool, der so groß war wie ein Fußballfeld. Gideon hielt den Blick gesenkt, da er nicht ein unschuldig badendes Weib dem Zorn einer eifersüchtigen Dämonin aussetzen wollte, weil er aus Versehen ihren nackten Körper betrachtete.
„Hast du irgendeinen Grund zu der Annahme, dass es unter deinen Leuten vielleicht eine Gruppe gibt, die den Krieg wieder aufflammen lassen will, indem sie uns angreift?“, fragte er die Königin.
Siena wandte sich zu ihm hin, ihre goldenen Augen strahlten heller, während sie einen Moment lang nachdachte.
„Ich bin froh, dass du nicht glaubst, ich hätte etwas damit zu tun.“
„Nein, Siena. Obwohl es noch viele Mitglieder des Rates gibt, die fürchten, dass die Jahre, die ich während meiner Kerkerhaft hier bei dir verbracht habe, Auswirkungen darauf haben, wie wir uns als Art gegenseitig sehen.“ Gideon lächelte, denn er erinnerte sich daran, dass genau das Noahs Plan gewesen war. Gideon hatte sich mit seiner Eleganz und mit seiner tiefen Weisheit bei einem jungen Mädchen eingeschmeichelt, das eines Tages Königin werden würde. „Abgesehen davon, dass du meinen Mut mit kleinen Streichen im Thronsaal getestet hast, hast du kein Interesse an sinnlosen Auseinandersetzungen. Ich weiß, dass wir nichts getan haben, um dich zu provozieren.“
„Nun, wenn es Rebellen unter meinem Volk gibt, finde ich sie meistens sehr schnell. Erzähl mir, was passiert ist.“
Das tat Gideon ganz knapp in groben Zügen. Die Königin der Lykanthropen hörte ihm aufmerksam zu.
„Nein. Gideon, meine Untertanen fordern deine Leute vielleicht zum Kampf, aber so einen grausamen Überfall würden sie nicht verüben. Das Überleben unserer Nachkommen hat bei uns absoluten Vorrang, und daher würden wir nicht einmal unserem ärgsten Feind so etwas antun.“
„Ich habe mir schon gedacht, dass du so etwas Ähnliches sagen würdest, aber du verstehst sicher, dass ich mich davon überzeugen musste. Es hätte ja auch sein können, dass ein verbrecherischer Angehöriger deiner Gattung gerade auf der Flucht ist.“
„Du hast natürlich recht. Es ist taktisch unklug, denkbaren Möglichkeiten nicht nachzugehen. Wenn ich etwas über dich und, ich glaube, auch über dein Volk gelernt habe, dann dass ihr nicht gerade dumm seid, wenn es um taktisches Denken geht.“ Sie schwieg einen Moment lang. „Gideon, ich denke, es ist Zeit, dass Noah und ich uns zusammensetzen. Zumindest sollten wir uns über die Rahmenbedingungen für einen Austausch von Botschaftern
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