Schattenwandler 04. Damien
beruhigte sich Jasmine wieder. Sie drehte sich um und setzte sich mit einem tiefen Seufzer neben das Kompendium aufs Bett.
Für wen war es denn überhaupt ein Problem?, fragte sie sich.
Sie blickte zu ihrer Tasche und dann wieder zu dem Buch. Wenn sie ihre restlichen Sachen packte und fortging, wem würde das etwas ausmachen? Nur Damien und ihr selbst. Syreena konnte das große Drama einer solchen Veränderung in der Gemeinschaft nicht nachvollziehen; wieso sollte es ihr also etwas ausmachen? Außer es machte ihr etwas aus, weil es Damien etwas ausmachte. Was bedeuten würde, dass sie ernsthaftes Interesse an ihm hatte.
Was Jasmine nicht hinnehmen wollte.
Jasmine stöhnte mitleiderregend, als sie wieder in ihre Gedankenschleife geriet. Sie warf sich auf die Matratze. Ihre Hand fiel auf das Buch, was sie an das zweite Dilemma erinnerte, in dem sie steckte. In dem Buch befand sich der Beweis, nach dem Damien gefragt hatte; die Erklärung dafür, warum Vampire sich grundsätzlich nicht von anderen Schattenwandlern ernähren sollen. Etwas von dem, was sie gelesen hatte, entsprach dem, was Damien vermutet hatte, und stimmte mit dem überein, was er hören wollte. Es würde ihn noch enger an die Lykanthropin binden, falls das überhaupt möglich war.
Etwas daran war von tödlicher Konsequenz, und es erklärte ihrer Meinung nach gewissermaßen logisch, warum es sich so entwickelt hatte, dass andere Schattenwandler als Nahrungsquelle tabu waren. Im Grunde war es eine so kalte und tödliche Logik, dass sie es mit einem bisschen Glück schaffen sollte, Damien von seiner angeblichen Liebe abzubringen und ihn zurück zu ihrem normalen, ruhigen Leben zu führen.
Allerdings musste Jasmine sich eingestehen, wie sehr sie Routine und Normalität hasste. Vor ein paar Wochen war sie bereit gewesen, sich für ein Jahrhundert in die Erde zu legen. Und heute schlug sie sich mit Überlegungen und Entscheidungen herum, die zugegebenermaßen Abenteuer und existenzielles Risiko verhießen, was viele Vampire und auch sie selbst aufblühen ließ. Doch sollte sie Damiens Wohlergehen, vielleicht sogar sein Leben aufs Spiel setzen, nur um sich zu amüsieren? Nicht, dass akute Gefahr bestand. Wenn es so wäre, würde sie nicht zögern zu handeln. Denn sie wusste, Damien käme stets an erster Stelle.
Sie würde für ihn sterben.
Diese tief verborgenen Wahrheiten konnten ebenfalls sterben, überlegte Jasmine. Zum Beispiel, wenn die Bibliothek plötzlich abbrannte, das verfluchte Buch auf ihrem Bett eingeschlossen. War die Idee so weit hergeholt, dass eine Fackel womöglich zu nah an ein Buch gekommen war und die katastrophale Vernichtung all der Geheimnisse, die in ihrer staubigen Stätte hätten bleiben sollen, in Gang gesetzt hat? Würde ihnen wirklich etwas fehlen, wenn so etwas geschah? Sie hatten so lange überleb t …
Bloß überlebt.
Jasmine hätte nie gedacht, dass sie zu so etwas fähig wäre, doch sie konnte der verlockenden Idee nicht widerstehen, dass dieser Band voller Informationen zu etwas viel Besserem und Schönerem führen konnte als zum bloßen Überleben.
Zack! Sie war wieder da, wo sie angefangen hatte mit ihrer Gedankenschleife.
Jasmine nahm die Hand von dem Buch und schlug sich auf die schmerzende Stirn. Das war lächerlich! Trotz ihres Alters, ihrer Weisheit und Erfahrung fand sie keine Lösung dafür, was mit so einem blöden Buch und so einer kleinen Frau passieren sollte? Wenn Damien Syreena heiratete, würde sie Jasmines Königin sein. Jasmine wäre die Untertanin einer Ignorantin, die keine Ahnung hatte, was für das Volk der Vampire gut war.
Und wenn Damien sie heiratete, würde er Jasmine mehr denn je brauchen. Wenn sie ihn verließ, würde ihn das verwundbar machen innerhalb der Gemeinschaft. Stephan, der Anführer von Damiens Kampftruppen, war gut darin, es mit anderen Gattungen und menschlichen Jägern aufzunehmen, aber Jasmine glaubte nicht, dass er seine eigenen Leute massenhaft umbringen könnte, falls ein Bürgerkrieg ausbrach. Und selbst wenn es ihnen gelang, interne Konflikte von einer solchen Größenordnung zu vermeiden, würde es noch immer eine Menge Begehrlichkeiten auf den Thron wecken. Einen solchen Angriff könnte Damien nicht überleben. Nicht allein. Nicht ohne jemanden, der jeden töten würde, um ihn zu beschützen.
Wenn Jasmine blieb, dann würde sie beide unterstützen müssen, auch Miss Twiggy.
Sie würde lieber um die Mittagszeit nackt durch eine sonnenbeschienene Wüste
Weitere Kostenlose Bücher