Schattenwandler 04. Damien
führte es zu einer allumfassenden Lähmung des Opfers. Doch ganz ähnlich wie eine kluge Schlange würde sie lieber davonschleichen, als die Herausforderung anzunehmen. Trotzdem hätte Syreena darauf gewettet, dass eine Mistral im Notfall einem Feind ziemlich großen Schaden zufügen konnte. Das wäre einfach zu bewerkstelligen über ein Signal in ihrer Sprechstimme, ganz zu schweigen von der betörenden Wirkung, wenn sie ihren Gesang anstimmte.
Zum Glück waren sie ein ausgesprochen friedliebendes Volk.
Das zartgliedrige Mädchen nahm am ganzen Leibe zitternd Syreenas ausgestreckte Hand. Während sie sie schüttelte, wunderte sich Syreena darüber, dass sie überhaupt gekommen war. Sie hatte nicht mitbekommen, dass Siena bei der Einladung auch die Mistrals berücksichtigt hatte, egal, ob sie sie nun annehmen würden oder nicht. Trotz ihres ängstlichen Zitterns musste das Mädchen außergewöhnlich mutig sein, dass sie sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet hatte.
Syreena ließ ihre Hand los und blickte zu den Tischen in ihrer Nähe. Sie lächelte das Mädchen an und griff nach einem Blatt Papier auf einem Stapel. Sie nickte zu dem Stift hin, den die andere in den Fingern hielt.
„Wie heißt du?“
Die Mistral lächelte sogar. Sie nahm das Blatt Papier, und mit dem Buch in der Hand als Unterlage kritzelte sie rasch die Antwort.
„Aria“, stand da.
Syreena mochte sie sofort. Sie wusste, dass das Gefühl einseitig war, doch das war ihr egal. Mistrals waren ebenfalls Gestaltwandler, doch sie konnten sich nur in Vögel verwandeln. Lykanthropen hatten die ganze Artenvielfalt der Tierwelt zur Verfügung. Da sie jedoch in ihrem verwandelten Zustand die gleiche Tiergattung teilten, hoffte Syreena, dass sie vielleicht gemeinsame Erfahrungen machen und Ansichten austauschen konnten. Die Sichtweise eines Vogels. Sie musste das Vertrauen der kleinen Frau gewinnen, damit der Zauberbann aus ihrer Stimme herausgefiltert wurde, so ähnlich wie eine Schlange ihre entnervende Klapper nicht benutzte und ein Gespräch ermöglichte. Von Sienas Beziehung zu einer anderen Mistral namens Windsong her wusste Syreena, dass so etwas möglich war.
Möglich, aber selten.
Aria war zunächst einmal ein seltener Vogel, also bestand Hoffnung.
Bevor Syreena weitersprechen konnte, trat Aria auf einmal von ihr weg und verkroch sich in sich selbst. Es genügte, um die Prinzessin in Alarmbereitschaft zu versetzen. Sie drehte sich um und folgte Arias Blick.
Ihr stockte der Atem.
Damien.
Syreena war dem Vampirprinzen schon einmal begegnet, und sie kannte ihn vom Sehen. Es war unmöglich, ihn zu vergessen. Selbst wenn er momentan seine Fähigkeit, ein Netz von Wahrnehmungsverzerrung und Furcht um sich herum zu spinnen, nicht einsetzte, begegnete sie seiner eindrucksvollen Erscheinung mit vorsichtigem Respekt. Er war so groß wie ein Dämon und gertenschlank, gleichzeitig athletisch mit sehr breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Doch er bewegte sich mit der lässigen Anmut, die allen Vampiren eigen zu sein schien. Er machte den Eindruck von träger Sorglosigkeit und Entspanntheit. Eine Tarnung. Der Prinz war mit tödlicher Schnelligkeit bereit zum Zuschlagen.
Siena hatte ihn im Einsatz gesehen, und sie hatte Syreena mit unverhohlener Bewunderung davon erzählt. Die Königin hatte gesagt, dass sie noch nie jemanden gesehen habe, der sich so schnell bewegte und der mit einer so natürlichen Freude tötete. Für die Königin einer Gattung, die ihr halbes Leben in der Gestalt verschiedener Tiere mit räuberischen Instinkten gelebt hatte, war das ein recht ungewöhnliches Kompliment.
Syreenas Eindruck war ein anderer gewesen.
Er hatte sie verunsichert, um es vorsichtig auszudrücken. Nicht ganz so sehr, wie er Aria gerade verunsicherte, aber immerhin genug, dass sie so wenig Zeit wie möglich mit ihm in einem Raum verbringen wollte.
Das Bedürfnis, einen Rückzieher zu machen, irritierte sie. Sie war von Natur aus nicht sehr ängstlich, vor allem dann nicht, wenn es keinen konkreten Grund dazu gab. Das wäre ein ziemlich schwacher Beginn ihrer neuen Aufgabe, wenn sie zulassen würde, dass er sie einschüchterte. Das Einzige, was ihr zugutekam, war, dass er nicht wusste, was sie fühlte. Zumindest nicht, solange sie die Gedanken schnell genug wieder löschte, um der telepathischen Entdeckung zu entgehen, falls der selbstherrliche Prinz beabsichtigte, in ihrem Kopf herumzustöbern. Sie ging davon aus, dass jemand wie Damien
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